Ich liege im Strandkorb und lasse die Eindrücke auf mich wirken.
„Halt! Umdrehen! Kopf runter! Zurück! Augen zu! AUGEN ZU! Und Mund zu! AUGENZUMUNDZU! Du bist heute der Gesalbte, Hahaha!“
Nebenan wird ein Kind mit Sonnencreme beschichtet.
„Na? Wollen wir es wagen?“, höre ich von der anderen Seite.
Eine ältere Frau springt auf, ohne eine Antwort abzuwarten und spaziert schnurstracks in Richtung Ostsee. Ein ebenso alter Mann, offenbar ihrer, zumindest ihre Reisebegleitung, kann nicht anders, als ihr hinterherzueilen. Sollte ihm ein Protest auf den Lippen gelegen haben, bietet sich ihm keine Gelegenheit, diesen zu äußern.
Ein paar Minuten später sind beide wieder da. Wieder ist sie die Erste am Strandkorb.
„Wo ist denn jetzt mein Kugelschreiber? Den hatte ich doch eben noch bei meinem Rätsel! Och nöö…!“
Gerade noch rechtzeitig schafft es der Mann zurück zum Strandkorb, bevor seine Frau auf der Suche nach dem Stift alle Handtücher unkontrolliert in den Sand werfen kann und befördert das Schreibwerkzeug zu Tage. Dann ist wieder Ruhe.
Dem Geschehen hinter mir kann ich nur zuhören. Eine ältere Dame nutzt den Nachmittag offenbar dafür, um mit ihrer kleinen Enkelin ein paar Stunden am Strand zu verbringen. Nun sitzt die Kleine vor ihr im Sand und spielt „Eisdiele“.
„Guten Tag, möchten Sie ein Eis?“
„Gerne. Was für Sorten haben Sie denn?“, fragt die Oma.
„Wir haben heute Rot, Grün und Blau!“
Die Oma kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.
Endlich Urlaub. Herrlich. Ein bisschen Glück muss man in Deutschland haben, damit der Sommer auch Anfang August noch in vollem Gange ist. Und ein bisschen skeptisch war ich, als ich das Hotel an der Ostsee zwei Monate im Voraus gebucht hatte. Doch der Plan ging voll auf. Jeder Tag sollte uns mit viel Sonne und Temperaturen um die 30 Grad verzücken.
Ich bin in meinem Leben schon mit dem Dolmuş durch die Türkei gefahren, habe in Ägypten Tee getrunken, eine indonesische Hochzeit auf Borneo besucht und mir die Schuhe am Grand Canyon in den USA schmutzig gemacht. Für diesen Sommer hatte ich mir etwas typisch deutsches ausgesucht, deutscher ging es fast gar nicht: den Strandkorb.
Der Strandkorb ist eine Welt für sich. Das um 1880 speziell für die deutsche Nord- und Ostseeküste entwickelte Kleinstrefugium vereint Liegestuhl, Sonnenschirm, Regenschutz, Sichtschutz, Sofa, Esstisch und Kleiderschrank in einem. Für 10 bis 15 Euro am Tag kann sich jeder einen dieser Schutzräume mieten und sich nach Herzenslust erholen.
Bei einem Strandkorb verhält es sich so ähnlich wie bei einer Parzelle auf dem Campingplatz. Jeder gestaltet den Raum um sich herum nach seinem Geschmack und macht es sich innerhalb kürzester Zeit so gemütlich wie möglich.
Zur Grundausstattung gehören der Strandkorb, ein oder mehrere große Handtücher und gerne auch ein Sonnenschirm. Nicht selten wird die Front des Geländes vor dem Korb mit einer Art Stoffzaun, der an eine Sichtschutzplane für Balkons erinnert, eingegrenzt und so das Territorium klar abgesteckt. Teilweise organisieren sich größere Gruppen auf spezielle Weise, indem sie zwei oder drei Strandkörbe im Halbkreis zusammenstellen, den vorderen Bereich mit besagtem Mobilzaun abstecken und sich auf diese Weise eine kleine Festung einrichten. Die Lücken zwischen den Körben werden mit den Holzplattenkonstruktionen versperrt, mit denen der Strandkorb nachts verschlossen werden kann. So ist das Gruppenrefugium wirkungsvoll gegen fremde Eindringlinge abgesichert und man holt das Maximum an Sonnen- und Windschutz aus den vorhandenen Ressourcen heraus. Während sich die üblichen zwei Quadratmeter Wirkungsradius eines einzelnen Strandkorbes durch Handtücher auf vier bis sechs Quadratmeter erweitern lassen, erreicht die beschriebene Strandkorbfestung mit Ecktürmen und Burggraben nicht selten eine Fläche von insgesamt 20 Quadratmetern und beherbergt in Spitzenzeiten ein gutes Dutzend Urlauber bestehend aus zwei bis drei Familien.
Ich habe mich nur langsam an meinen Strandkorb gewöhnt. Am ersten Tag war mir meine Umgebung viel zu laut. Durch die höhlenartige Konstruktion erhält der Korb nämlich die Eigenschaften einer Konzertmuschel. So konnte ich im Strandkorb liegend die gedämpft geführten Gespräche in den Refugien hinter und neben mir in glasklarer Deutlichkeit mitverfolgen. Meine Frau lag derweil auf dem Handtuch in der Sonne vor mir und war von dieser konzentrierten Ausbreitung des Schalls nicht betroffen. Sie bestätigte den Effekt aber, als wir Plätze tauschten.
Am nächsten Tag sah die Welt schon ganz anders aus. Wir platzierten Handtücher und Sonnenschirm so, dass jedem Außenstehenden auf den ersten Blick klar wurde, wo wir unseren Bereich definiert hatten. Und gegen den plötzlichen Anstieg des Lärmpegels, der sich komischerweise erst gegen 14 oder 15 Uhr einstellte, hatte ich mich mit Kopfhörern gewappnet. Später schaffte ich es sogar, mich so sehr auf mein Buch zu konzentrieren, dass mich die Störungen nicht mehr berührten.
Nach ein paar Tagen hatten wir die Thematik Strandkorb voll verinnerlicht. Morgens waren nur wenige Handgriffe nötig, um den Korb in die richtige Position zu bringen. Abends sperrten wir Handtücher und Sonnenschirm im Inneren des Refugiums ein und schlossen alles mit der hölzernen Konstruktion ab.
Die wenigen Tage Strandurlaub fühlten sich am Ende länger an, als sie eigentlich waren. Das Wetter trug ganz erheblich zu diesem Gefühl bei. Durch die nächtliche Lagerung eines Teils unserer Ausrüstung ersparten wir uns unnötige Schlepperei zwischen Strand und Auto. Unterm Strich hätte die Zeit nicht besser verlaufen können.
Doch dann, am letzten Tag, erblickte ich plötzlich das ultimative Tool für einen Strandurlaub. Das beste Gadget, das ich je gesehen hatte. Das Schweizer Taschenmesser unter den Strandutensilien: eine mobile Strandliege mit Rollen und ausklappbarem Sonnenschirm, die gleichzeitig als Lastkarren für die gesamte Strandausrüstung genutzt werden konnte! Ich verneigte mich innerlich vor dem Rentner, der damit am Strand an mir vorüberzog und mir wurde klar, dass ich noch viel zu lernen hatte.
[…] viel Bahn, treffe William Shatner und verpasse meinem Blog ein neues Design. Außerdem mache ich Urlaub im Strandkorb und fliege endlich mal wieder in die […]
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[…] die Weihnachtsfeiertage wird nicht mehr überall die 30-Grad-Marke erreicht. Vor allem an Nord- und Ostsee sind die Badebedingungen an Heiligabend wieder hervorragend. Regen ist weiterhin nicht in Sicht – […]
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[…] konnte ich jetzt vergessen. Es schien, als wäre das alles niemals passiert, wo ich doch sonst alle Urlaube und weiteren Ereignisse stets umfangreich auf Fotos festgehalten hatte. Es war wie […]
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Ich wünsche mir schon seid Jahren einen Strandkorb für die Terrasse, aber ich denke, an der See ist so ein Gestühl wesentlich interessanter. Diese Strandrollkarren kenne ich schon lange. Damit bewaffnet treten die Omis und Supermuttis bei uns im Freibad an.
LG Sabienes
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Über einen Strandkorb für den Garten denke ich auch nach. Am besten mit einem dazugehörigen Strand. ;-)
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