Dezember ist für mich die aufregendste Zeit des Jahres. Es geht um das große Casting. Auf die Show haben sich meine Brüder und Schwestern und natürlich auch ich teilweise jahrelang vorbereitet. Jetzt müssen wir hübsch aussehen und dem Publikum unsere Kraft, Eleganz und Standhaftigkeit beweisen. Jetzt strömen die Massen zu uns, beäugen uns ganz genau und von allen Seiten, fassen uns an, riechen an uns. Manche rücken uns sogar mit dem Maßband zu Leibe. Und nicht selten entsteht in unserer Gegenwart Streit, wenn sich die Juroren nicht einigen können, wen von uns sie besser finden. Manche von uns werden sofort ausgewählt. Andere stehen stunden-, manchmal tagelang herum, ohne dass sich jemand für sie interessiert. Doch irgendwann kommt jeder in die nächste Runde. Einer stolzen Nordmanntanne kann kein Mensch widerstehen.
Der Trennungsschmerz hält nur kurz an. Lange haben wir in der Kälte gestanden, hatten immer festen Boden unter den Füßen und trotzten Wind und Regen. Aus unserer gewohnten Umgebung werden wir herausgerissen. An unser neues Heim müssen wir uns erst gewöhnen, doch es ist warm und trocken. Echt schön.
In der ersten Zeit werden wir von oben bis unten verwöhnt. Wir bekommen neue Schuhe, neue Gewänder, viel Schmuck und einen glänzenden Hut. Jeder freut sich, wenn er uns sieht. Vor allem die Kinder bestaunen uns mit offenem Mund und blicken mit leuchtenden Augen zu uns hinauf. Wir glitzern und funkeln und sind der Mittelpunkt des Geschehens.
Warum gerade wir? Na, weil wir einfach die schönsten sind! Das sagen jedenfalls immer alle. Wir sind angenehm anzufassen und machen nicht so viel Dreck, heißt es. Und wir haben eine schöne Farbe. Darauf sind wir sehr stolz, meine Brüder und Schwestern und natürlich auch ich selbst. Wir sind froh, dass wir nicht das Schicksal unser Cousins und Cousinen teilen müssen. Unsere Verwandten gehen leicht ins bläuliche und stechen etwas. Die machen zwar ebenfalls beim Casting mit und werden ab und zu sogar ausgewählt, doch so beliebt wie wir sind sie nicht. Meistens werden sie nur deswegen mitgenommen, weil sie billiger sind als wir.
Weihnachten ist die Erfüllung unseres Lebens. Egal, ob wir erst an Heiligabend aufgestellt werden oder unseren Job schon seit dem ersten Advent machen: Wenn die vielen Geschenke zu unseren Füßen platziert werden und sich der Duft von Weihnachtsgebäck, Gans oder Kartoffelsalat mit Würstchen im Haus ausbreitet, wissen wir, wozu wir die letzten Jahre all die Strapazen und Entbehrungen unter freiem Himmel hingenommen haben. Wir strahlen jetzt mit voller Kraft. Wir erhellen nicht nur die Wohnzimmer, sondern auch die Herzen der Menschen, die unsere Dienste angefordert haben. Wir sind stolz.
Doch leider geht nicht immer alles gut. Manche Brüder und Schwestern lassen bereits während der Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben. Viele werden von entfesselten Haustieren zu Boden gerungen und müssen ihren Dienst wegen eines Bruchs vorzeitig beenden. Andere dagegen werden Opfer der Flammen, weil es irgendwelche Nostalgiker einfach nicht über das Herz bringen, uns mit Lichterketten statt Wachskerzen zu bestücken. Dieses Schicksal könnte jeden treffen. Aber das ist Berufsrisiko.
Wer die frohen Weihnachtstage hinter sich gebracht hat, der hat die aufregendste Zeit seines Lebens überstanden. Dann geht es sehr schnell dem Ende entgegen. Unweigerlich wartet der Tod auf uns alle. Entweder kommt er schnell, gleich Anfang Januar, wenn wir gerade einmal die ersten Nadeln fallengelassen haben. Oder wir werden erbarmungslos bis Ostern unserem langsamen Verfall überlassen und schließlich voller Ekel und begleitet von einem nicht enden wollenden Nadelregen mit spitzen Fingern aus dem Wohnzimmer geschleift. Es gibt sogar manche Menschen, die werfen uns erst dann raus, wenn ein schwedisches Möbelhaus sie dazu auffordert.
Und da liegen wir dann am Straßenrand. Manchmal allein, manchmal an einer Ecke aufgetürmt zu großen Bergen. Bis der Müllwagen kommt und wir zu Holzhackschnitzeln verarbeitet werden.
Das war es dann.
Nächstes Jahr? Nächstes Jahr wird es für mich nicht geben. Höchstens als Brennstoff im Kamin. Oder als Kompost.
Doch Moment. Vorhin hat mir doch einer meiner Pfleger alle meine Zapfen abgenommen. Mein Samen wird vielleicht in die ganze Welt verteilt. Oder nur ein paar Meter weiter. Egal. Hauptsache ist, dass meine Kinder den Menschen auch so ein schönes Weihnachtsfest bescheren, wie ich es getan habe.
[…] eines der Dauerthemen auf diesem Blog. Herbst und Winter werden mit Texten über Flüchtlinge und Weihnachten etwas […]
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[…] Weihnachten ohne Geschenke aus dem Internet – Das hat bei mir in den vergangenen Jahren immer gut funktioniert. Trotz der überschaubaren Größe meiner Heimatstadt habe ich im stationären Handel in der örtlichen Fußgängerzone eigentlich immer das bekommen, was ich verschenken wollte. Zugegeben: Bücher, CDs, Handys und Parfum sind nicht allzu ausgefallen, doch selbst bei diesen einfach verfügbaren Artikeln scheinen viele den Gang in die Innenstadt zu scheuen und den Klick im Internet zu bevorzugen. Ich habe in den letzten Jahren erfolgreich darauf verzichten können und bilde mir ein, damit den örtlichen Einzelhandel gestärkt und die Paketboten zur Weihnachtszeit entlastet zu haben. […]
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[…] Tagen etwas angenehmeres Wetter zu verdanken. Die große Hitze ist vorbei und auch über die Weihnachtsfeiertage wird nicht mehr überall die 30-Grad-Marke erreicht. Vor allem an Nord- und Ostsee sind die […]
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[…] an den Esstisch meiner Mutter kehre ich immer noch sehr gerne zurück, vor allem an Weihnachten, wenn sie der Familie ihren einzigartigen Schweinebraten in Schwarzbiersoße […]
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[…] in Nachbarschafts-Smalltalk mit den mitgereisten Eltern der Kinder versuchte. Schönen Abend noch, Weihnachten dann am Feuerkorb im Garten, […]
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[…] Nach zweieinhalb Wochen habe ich endlich alle Formulare, Nachweise und Befunde zusammen, die für den Kurantrag nötig sind. Kurz vor dem dritten Advent gebe ich alles in die Post und kümmere mich erst mal um die Vorbereitungen für Weihnachten. […]
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[…] uns danach mit Blumen, Marmelade und Gebäck. Schenken im Garten Glühwein aus und verteilen an Weihnachten kleine Päckchen mit Tee und einem Gedicht. Superkräfte […]
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[…] Je nach Thema teile ich meine Geschichten auch mal auf meinem Privatprofil (zum Beispiel über den Tannenbaum) oder suche mir eine passende Gruppe, deren Mitglieder mein Beitrag vielleicht interessieren […]
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[…] vor Weihnachten hatte ich mich trotzdem dazu entschlossen, meinen Bart nach den Feiertagen wieder abzurasieren. […]
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[…] Weihnachten war auch nicht schlecht gewesen und die Reste der vielen Essen an Heiligabend und der […]
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[…] letzte Weihnachtsfest war mal wieder ein Paradebeispiel. Als wir an Heiligabend irgendwann zwischen Kaffee und Fondue in […]
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Ach wie schön geschrieben und ich musste auch ein bisschen schmunzeln, weil es tatsächlich so ist.
Lg Sandra von onlinetagebuchvonsandra.blogspot.com
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Danke! Schöne Weihnachtszeit wünsche ich!
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Das geht ans Herz. <3
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Danke und frohe Weihnachten!
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