Krebs war für mich lange Zeit wie die Fahrkartenkontrolle in der U-Bahn. Ständig kommt darüber etwas im Fernsehen, überall hängen Plakate, viele reden darüber und viele haben es erlebt – nur ich nicht. Bis sich das vor kurzem schlagartig änderte. Die Krebsdiagnose war für mich absolut absurd. Ich sollte so was haben? Konnte ich mir nicht vorstellen. War aber leider so. Und so musste ich mich zwei Operationen unterziehen und insgesamt 25 Tage im Krankenhaus verbringen. Mittlerweile scheint alles wieder gut zu sein. Der ersten Überraschung durch die plötzliche Krebsdiagnose folgte die nächste Überraschung durch den reibungslosen Heilungsprozess. Alles Schlag auf Schlag. Wieder völlig absurd. Eben noch am Boden, jetzt wieder wohlauf und das alles in so kurzer Zeit – Das war zu viel für meine Verarbeitung. Sie hinkt noch gewaltig hinterher und braucht wahrscheinlich noch ein paar Monate.
Was mich ebenso überrascht hat, allerdings durch und durch positiv, ja fast schon rührend, ist das enorme Feedback, dass ich erhalten habe, nachdem ich meine Krebserfahrung öffentlich gemacht habe. Als klar war, dass die beiden Operationen erfolgreich verlaufen waren, beschloss ich ziemlich schnell, dass ich darüber schreiben und das auch verbreiten muss. Einerseits für mich, um das ganze Erlebnis einmal schwarz auf weiß zu verpacken und zusammenzufassen. Dann für mein Umfeld, denn ich wollte, dass meine Freunde darüber Bescheid wissen, vor allem diejenigen, die ich lange nicht gesehen habe oder wiedersehen würde. Und schließlich auch für all diejenigen dort draußen, die bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben und nicht wissen, ob und wie sie darüber sprechen sollen. Peniskrebs ist schließlich eine ziemlich seltene Erkrankung an einer ziemlich delikaten Stelle. Ich selber hatte davon vor der Diagnose noch nie gehört. Umso mehr haute mich das letztendlich um. Hautkrebs, an diesem Körperteil, noch dazu ziemlich selten, vor allem bei Menschen meines Alters – das alles rechtfertigte meiner Meinung nach eine ausführliche Aufarbeitung. Und so schrieb ich einen langen Text, den ich in drei Teilen innerhalb von vier Tagen veröffentlichte.
Es war eine der aufwendigsten Veröffentlichungen für mich, noch dazu in ungewöhnlich kurzer Zeit. Mit dem Echo, das ich dadurch auslöste, hätte ich niemals gerechnet.
Wenn ich eine Geschichte schreibe, veröffentliche ich sie nicht nur auf meinem Blog, sondern ich verbreite sie auch über Facebook. Immer natürlich über die blogeigene Facebookseite sowie über passende Gruppen zum Thema Bloggen. Je nach Thema teile ich meine Geschichten auch mal auf meinem Privatprofil (zum Beispiel über den Tannenbaum) oder suche mir eine passende Gruppe, deren Mitglieder mein Beitrag vielleicht interessieren könnte (zum Beispiel über das Dschungelcamp). Meine Krebsgeschichte teilte ich nicht nur über meine Blogseite, sondern auch über mein Privatprofil und, extra dafür recherchiert, in einer Krebsgruppe mit 25.000 Mitgliedern.
Innerhalb weniger Stunden explodierte mein Blog. Die Zugriffszahlen verzehnfachten sich und an den vier Tagen der Veröffentlichung hatte ich so viele Besuche, wie im gesamten ersten Jahr zusammen. Ich war völlig fertig.
Da schrieben mir wildfremde Menschen, lobten mich für meinen Mut und meinen Schreibstil. Bedankten sich für die Geschichte und schickten mir Freundschaftseinladungen. In einer Nachricht wurde ich sogar nach meinem Geheimrezept im Kampf gegen Krebs gefragt. Ich merkte sehr schnell, dass viele Menschen in ihrer Verzweiflung nach jedem Strohhalm griffen, sobald die Schulmedizin versagte. Und ich konnte sie verstehen. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, wenn meine Geschichte nicht so gut ausgegangen wäre. Wenn in den Lymphknoten doch Krebszellen nachgewiesen worden wären und ich mich weiteren Therapien wie Bestrahlung oder Chemo hätte unterziehen müssen. Und wenn diese nicht angeschlagen hätten und ich weiter hätte hoffen und bangen müssen. Und mich fürchten. Alle diese Menschen, die bereits seit Jahren gegen den Krebs kämpfen, seien es sie selbst oder Menschen aus ihrem Umfeld, hoffen auf das kleinste Signal mit der geringsten Chance auf Heilung. Krebs ist unberechenbar. Und plötzlich ist er überall.
Viel mehr als die Kommentare der Personen, die ich nicht kannte, rührten mich die Nachrichten der Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Es meldeten sich Leute, die ich bereits seit Jahren nicht gesehen hatte. Ehemalige Chefs schrieben mir. Sogar ehemalige Kollegen, mit denen ich während unserer gemeinsamen Zeit in der Firma kaum ein Wort gewechselt hatte. Wieder bekam ich viel Zuspruch und Lob. Und ich hörte viele eigene Geschichten. Vom Bruder einer Bekannten, der als kleines Kind auch eine Krebserkrankung überstehen musste. Von der ehemaligen Kollegin, die von der Krankheit schwer gezeichnet war. Vom ehemaligen WG-Mitbewohner, der vor kurzem ebenfalls wegen einer Krebsdiagnose operiert werden musste. Und, und, und… Ich fühlte mich den ganzen Menschen, die ich in den vergangenen Jahren mal hier und da kennengelernt und wieder aus den Augen verloren hatte, plötzlich so nah, wie noch nie und ich hatte das Gefühl, noch nie so viele Freunde zu haben, wie in diesem Moment. Krebs ist schrecklich, aber Krebs verbindet. Irgendwie.
Für den unglaublichen Zuspruch nach der Veröffentlichung meiner Krebsgeschichte bin ich sehr dankbar und ich glaube, dass ich das noch sehr lange bleiben werde. In den Tagen der Veröffentlichung haben mich rund 200 Nachrichten und Kommentare erreicht, während alle drei Teile auf allen Verbreitungskanälen insgesamt 550 Likes und ähnliche Reaktionen bekamen. Darauf hatte ich es wirklich nicht abgesehen, doch ich freue mich, dass meine Geschichte derart umfangreich verbreitet wurde. Und ich hoffe, dass unter den vielen stillen Mitlesern auch einige dabei gewesen sind, denen ich ein paar positive Momente verschaffen konnte. Vielleicht Hoffnung, vielleicht Motivation, durchzuhalten und den Mut nicht zu verlieren.
Für mich ist die Aufarbeitung dieser Erfahrung noch nicht abgeschlossen. In meinem Kopf geht es nach wie vor drunter und drüber. Das wird sich wahrscheinlich erst im kommenden Jahr ändern, wenn ich die erste Nachuntersuchung sowie eine Reha hinter mir habe. Vieles gibt es noch zu erzählen. Das enorme positive Feedback zeigt mir, dass die Veröffentlichung dieser Geschichte richtig war. Plötzlich ist der Krebs überall und wahrscheinlich wird er noch lange bleiben. Doch weil ihn mittlerweile immer mehr Menschen besiegen, verliert er langsam sein Horrormaske. Ich hoffe, dass ich mit meinen Geschichten einen Teil dazu beitragen kann.