Frau Schwarzblock betrat das Wohnzimmer und erkannte sofort, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmte. Herr Schwarzblock saß auf dem Sofa, starrte die Wand an und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Couchtisch herum.
„Was ist denn los, Schatz?“, fragte sie besorgt.
„Ach, weißt du“, entgegnete er, „mir ist irgendwie langweilig. Ich würde gerne mal wieder ein Auto anzünden. Oder Steine auf Polizisten schmeißen. Und Geschäfte plündern. Das haben wir schon so lange nicht mehr gemacht.“
„Ich glaube, du leidest unter dem Obelix-Syndrom.“
„Obe… was?“
„Obelix! Der dicke Gallier. Wenn der lange keine Römer mehr vermöbelt hat, wird der auch ganz wuschig.“
„Aha…“
„Wie auch immer. Ich glaube, ich weiß die Lösung: Nächste Woche ist doch G20-Gipfel in Hamburg. Wollen wir da nicht hin? Da kannst du das dann alles machen.“
Herr Schwarzblocks Stimmung besserte sich augenblicklich. „Geile Idee!“, sagte er mit leuchtenden Augen. „Ach Schatz, du bist einfach die Beste!“
Dann fielen sie sich in die Arme und hatten sich lieb.
Ein paar Tage später machten sich die beiden auf den Weg nach Hamburg. Offiziell fand der Gipfel nur Freitag und Samstag statt, doch sie nahmen bereits den Protestzug am Mittwochabend Richtung Hansestadt. Der kam extra aus der Schweiz mit ganz vielen anderen Verwandten aus der Schwarzblocksippe. Alle freuten sich auf dieses Familientreffen im schönen Hamburg, denn das Rahmenprogramm versprach Fun und Action ohne Ende.
Donnerstag früh kamen die Schwarzblocks am Hamburger Hauptbahnhof an, gerade rechtzeitig zur Eröffnungsfeier. Die Polizei hatte extra alles abgesperrt, damit die Schwarzblocks ihre Begrüßungsrituale, also Parolen rufen, rangeln und böse gucken, durchführen konnten.
Anscheinend waren auch viele Menschen nach Hamburg gekommen, die die Schwarzblocks nicht so gut leiden konnten, aber das war den meisten egal. Glücklicherweise sorgte die Polizei mit ihren Hunden dafür, dass die Schwarzblocks unbehelligt zu ihrem Zeltlager kommen konnten. Das Catering im Camp bestand überwiegend aus Billigbier und Billigschnaps. Alle langten kräftig zu, denn sie hatten an diesem Wochenende noch viel vor.
Am Abend stand Sightseeing auf dem Programm. Die Landungsbrücken wollten sie sich anschauen. Pünktlich zum Start des Stadtrundgangs hatten sich mehrere tausend Schwarzblocks eingefunden. Es waren auch Menschen aus anderen Sippen da, doch die hatten überwiegend bunte Kleidung an, womit die Schwarzblocks nicht so viel anfangen konnten. An der Kleidungsfrage scheiterte dann auch diese Sightseeingtour. Die Polizei hätte sich offenbar mehr modische Vielfalt gewünscht und fand auch die Kapuzen und Masken nicht so hübsch, deswegen war die Stimmung schnell am Boden. Und ein paar Teilnehmer auch. Herr Schwarzblock erfüllte sich einen langgehegten Wunsch und ließ sich von einer Gruppe Beamter vermöbeln.
Am Freitagmorgen folgte gleich das nächste Highlight: Der Zug durch die Gemeinde. Mehrere hundert Schwarzblocks waren extra früh aufgestanden, um im Morgengrauen durch die Straßen zu ziehen und die Anwohner mit Böllerschüssen und Feuerwerk zu wecken. Ganz in der Tradition der Schützenfeste. Am Ende brannten mehrere Dutzend Autos am Wegesrand. Die Aktion war so anmutig wie die Parade der Traditionssegler beim Hamburger Hafengeburtstag und fast so romantisch wie das Feuerwerk beim Kirschblütenfest.
Die nächste Sightseeingtour wurde Freitagabend durchgeführt. Diesmal hatte sich die Sippe im schönen Schanzenviertel versammelt. Für Herrn Schwarzblock war dieser Abend wieder ein voller Erfolg. Er durfte Pflastersteine auf Polizisten schmeißen und hatte Kontakt mit Pfefferspray sowie einem der modernen Wasserwerfer. Die kannte er bisher nur aus dem Fernsehen. Für Frau Schwarzblock war auch etwas dabei, denn als in dem Viertel ein Supermarkt und eine Drogerie geplündert wurden, fielen ihr ein Pflegeshampoo und zwei Ferrero Küsschen in die Hände.
Samstagmittag wollten Herr und Frau Schwarzblock erst mal verschnaufen. Sie hatten sich extra Hawaiihemden eingepackt, damit sie nicht auffielen, wenn sie tagsüber durchs Schanzenviertel spazierten und sich die Reste ihrer „Proteste“ anschauten. Proteste – Beim Gedanken daran mussten beide schmunzeln. Politik war ihnen zwar nicht gänzlich egal, doch der Hauptgrund für ihre Reise nach Hamburg war, dass sie mal wieder auf Staatskosten einen draufmachen wollten. Mal rauskommen, ein bisschen bewegen, Aggressionen abbauen – ein klassischer Tapetenwechsel eben.
Abends erledigte Herr Schwarzblock den letzten Punkt auf seiner Wunschliste. Beim erneuten geselligen Abend in der Schanze zündete er eine Straßenbarrikade an. Zur Erinnerung machten seine Frau und er ein Selfie mit dem Feuer im Hintergrund. Während beide den erhobenen Daumen in die Kamera hielten, wurde in der Nebenstraße ein Spielzeuggeschäft angezündet. Kapitalismuskritik muss schließlich auch den Nachwuchs erreichen.
Es war ein anstrengendes Wochenende für die Schwarzblocks. Sonntag saßen sie erschöpft aber glücklich im Zug auf dem Weg zurück nach Hause.
„Na Schatz, geht’s dir besser?“, fragte Frau Schwarzblock ihren Mann.
„Ja“, antwortete er, „zumindest ist mir nicht mehr langweilig. Jetzt muss ich nur noch das mit der Arbeitslosigkeit und dem Alkoholismus in den Griff kriegen, dann ist alles wieder gut.“
„Nur nichts überstürzen, mein Herz. Nächstes Jahr findet der G20-Gipfel in Argentinien statt. Da soll es auch schöne Stadtteile zum Anzünden geben.“
Mit einem Lächeln im Gesicht schliefen beide in ihren Sitzen ein und träumten von argentinischen Pflastersteinen.
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