Solange es die Menschheit gibt, solange gibt es wahrscheinlich auch Streitigkeiten zwischen Jung und Alt. Ab einem gewissen Zeitpunkt verstehen Eltern ihre Kinder nicht mehr und umgekehrt. Da geht es meistens um Kleidung, Aussehen und Verhalten. Schon in der Steinzeit haben sich Mama und Papa Neandertaler darüber aufgeregt, wenn ihre Tochter unter dem Bärenfell zu viel Bein zeigte. Oder, wie es in diesem einen Sommer vor 10.000 Jahren plötzlich Mode wurde, sich einen Wildschweinzahn durchs Ohrläppchen bohrte. Das haben doch damals alle gemacht. Aber die Eltern haben es nicht verstanden.
Und das hat sich bis heute gehalten. Und zwar zwischen allen Altersgruppen. Die Jungen verstehen die Alten nicht, die Alten regen sich über die Jungen auf und die in der Mitte können weder mit Jugendlichen, noch mit Rentnern etwas anfangen.
Das geht heutzutage bereits als Baby los. Schon wenige Tage nach der Geburt wird das Neugeborene in der Regel der Öffentlichkeit vorgestellt. Da kommen Freunde, Verwandte und Nachbarn vorbei, um den neuen Erdenbürger in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Es gibt Kaffee und Kuchen und neben der Kaffeetafel steht das Babybettchen, in dem der Neuzugang gut sichtbar allen Besuchern präsentiert wird.
Und ständig, alle paar Minuten, zuerst bei der Begrüßung, dann immer wieder zwischendurch, beugt sich eine der pausbackigen Tanten zu dem kleinen Wurm herunter, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und kräht, manchmal noch mit vollem Mund kauend: „Ja, wo ist der denn der Kleine?!“
Das Baby lässt diesen plötzlichen Wandel seiner Wohnverhältnisse tapfer über sich ergehen. Bis vor kurzem war es noch so schön ruhig. Dann auf einmal ein grelles Licht, es wurde kalt und jetzt liegt es in einem blauen Strampler auf dem Präsentierteller und lässt sich von der buckligen Verwandtschaft beglotzen.
„Ja, wo ist er denn?!“, fragt schon wieder einer.
Irgendwann glotzt das Baby zurück, als ob es sagen wollen würde: „Mensch, Tante! Setz‘ deine Brille auf oder lass die Schnäpse weg, hier liege ich doch! Wenn du mich das noch einmal fragst, pupse ich dir ins Gesicht. Ich könnte grade! Ich habe echt andere Probleme. Den ganzen Tag schiebe ich einen Kohldampf, das glaubst du nicht. Und ständig ist meine Windel voll! Na, immerhin darf ich in aller Öffentlichkeit an großen Brüsten herumlutschen, ohne, dass es Ärger gibt. Mal sehen, wie lange das noch so geht…“
Zugegeben, ich kann mich an diese Zeit nicht mehr wirklich erinnern, aber so in etwa muss das wohl gewesen sein.
Und diese Unstimmigkeiten zwischen den Altersklassen begleiten den Menschen dann sein ganzes Leben lang. Ich bin momentan in einer Phase, in der ich mich verständnislos in alle Richtungen umblicke.
Nehmen wir uns erst einmal die Jugendlichen vor. Auf den ersten Blick benehmen die sich gar nicht so anders, als die Jugendlichen vor fast 20 Jahren, also die, die ich so kannte. Viele schauen gelangweilt in die Landschaft, den Rucksack in den Kniekehlen. Sie hören Musik und sind stolz auf ihr Handy. Und im Dunkeln ohne Licht Fahrradfahren gilt immer noch als cool. Manche Mädchen tragen sogar wieder Leggings. Wie in den 90ern!
Mein Handy war damals allerdings viel kleiner. Und die Kopfhörer auch. Heute steckt sich die Jugend Telefone von der Größe eines Frühstücksbrettchens in die Hosentasche und stülpt sich riesige und knallbunte Kopfhörer über den Kopf, die jeder sehen muss. Wer sich keine coolen Kopfhörer leisten kann, behält das Handy in der Hand und dreht, auch gerne auf dem Fahrrad, die Lautstärke ganz auf. Früher konnte man sich kleine Radios an die Lenkstange schrauben – und wurde dafür ausgelacht.
Mit dem Handy Videos machen, ist auch ein beliebtes Hobby der heutigen Jugendlichen. Die meisten halten das Gerät dabei allerdings hochkant, als ob sie zu Hause einen Fernseher oder einen Computermonitor hätten, der ebenfalls hochkant steht.
Andere Vertreter der Gattung Jugend gehen regelmäßig ins Tattoostudio, also die Volljährigen meine ich. Überall schießen diese Verunstaltungsbüros jetzt aus der Erde. Jeden Tag ist dort Stichtag. Das Wartezimmer ist offenbar der Bürgersteig vor dem Laden, denn ständig stehen dort die Patienten herum und rauchen sich gemeinsam mit ihrem Beistand, meistens Freundin und, wenn vorhanden, Kind im Kinderwagen, die Nervosität weg. Manche hätten sich zu Hause lieber eine Extraportion Ästhetik einpacken sollen. Warum sie sich stattdessen Sterne und einen Delfin in den Ausschnitt ritzen lassen, ich weiß es nicht…
Doch auch die lebenserfahrenen Menschen in unserer Gesellschaft sind nicht frei von Verspottung. Wen ich meine, sind die Rentner, die Pensionäre, die Ruheständler, die nach vielen Jahren in der Achterbahn der Arbeitswelt den goldenen Oktober ihres Lebens genießen. Was ich meine ist: Alter schützt vor Fehltritt nicht. Was ich meine ist: Warum müssen sich Menschen ab einem gewissen Alter E-Bikes und Jack-Wolfskin-Jacken im Partnerlook kaufen?
Nichts hat in den vergangenen Jahren soviel zur Mobilität von alten Menschen beigetragen, wie die Erfindung des E-Bikes. Viele tausend Jahre lang war der aufrechte Gang der krönende Entwicklungsschritt in der Evolution der Menschheit. Durch ihn konnte sich der Homo Erectus schneller fortbewegen als seine Urahnen und kam auch besser an Nahrung heran. Urmenschen im Ruhestand wurden schwach und langsam und irgendwann von einem Säbelzahntiger gefressen. Ende.
Der moderne Mensch begegnet heute recht selten gefährlichen Raubtieren. Außerdem ist die Jagd nach Nahrung erheblich leichter geworden. Die Beute liegt meist wehrlos und in handliche Stücke verpackt im Regal. Der einzige Kampf besteht nur noch darin, rechtzeitig im Supermarkt zu sein, bevor sich ein anderer die Sonderangebote unter den Nagel reißt.
Eine Revolution auf den Fußwegen dieser Erde stellte vor einigen Jahren zunächst der Rollator dar. Millionen alter Menschen konnten plötzlich wieder am Leben teilnehmen, konnten ungefährlich und ohne fremde Hilfe eine Straße überqueren, über den Markt bummeln oder spazieren gehen.
Doch dieses einfache Metallgestell mit Rädern, Sitzbank und Stockhalter sollte nur der Anfang der Rentnermobilisierung sein. Kurze Zeit später holte die Technik zum nächsten großen Schlag aus. Clevere Tüftler schraubten einen Elektromotor mit Batterie an ein Fahrrad und brachten auf diese Weise das E-Bike auf den Markt. Dem humpelnden Rentner wurde nicht nur der aufrechte Gang wiedergegeben, er konnte seinen Lebensabend jetzt auch im Rausch der Geschwindigkeit genießen. Der Rowdy-Rentner war geboren.
Plötzlich scheinen sich die Senioren für die jahrelange Belästigung durch pöbelnde Skateboardfahrer und radelnde Horden von Grundschülern revanchieren zu wollen. Ein Korso wieder erstarkter Graufüchse bevölkert nun die Radwege und schlängelt sich im Slalom durch die Teenager, die erschrocken von ihrem Smartphone aufblicken.
Der Gejagte ist zum Jäger geworden, halb Mensch, halb Maschine. Ein Hybrid aus Fleisch, Knochen, Metall und Plastik, durch dessen Adern sowohl Blut, als auch Strom fließen.
„Ein E-Bike ist total praktisch“, heißt es stets. „Vor allem für Menschen, die nicht mehr soviel Kraft für ein normales Fahrrad haben.“
Ich halte es für gefährlich, einem Menschen ohne Kraft ein Gerät unter den Hintern zu packen, mit dem er mit 40 Sachen durch die Fußgängerzone brettern kann. Ein handelsüblicher Radfahrer bewegt sich mit etwa 15 oder 20 kmh vorwärts. Im Alter wahrscheinlich etwas langsamer. Wenn die Kraft schwindet, sollte man sich eingestehen, dass ein pfeilschnelles Gefährt vielleicht nicht das richtige ist. Denn wenn man keine Kraft zum radeln mehr hat, sieht es mit der Reaktionsgeschwindigkeit wahrscheinlich ebenfalls nicht mehr ganz so blendend aus. Ganz zu schweigen davon, das Rad bei voller Fahrt schnell zum Stehen zu bekommen.
Wenn meiner Oma nach 20 Jahren der kleine Pekinese wegstirbt, schenke ich ihr anschließend auch keinen Bernhardiner und denke, dass sie beim Gassi gehen jetzt wieder mehr Spaß hat.
Sollen die rasenden Rentner doch machen, was sie wollen. Sie sollen sich nur nicht beschweren, wenn sie sich ein E-Sonderangebot aus dem Baumarkt besorgen und wenig später neben dem Skateboarder im Krankenhaus liegen, weil die Bremsen nicht funktioniert haben.
Aber wahrscheinlich ist es den meisten Menschen irgendwann egal, wie sie bei anderen ankommen. Wie ist es denn sonst zu erklären, dass so viele alte Menschen, vor allem was Optik und soziales Verhalten angeht, aus dem Ruder laufen?
Partnerlook bei Ehepaaren ist eines der ersten Symptome für diese fortschreitende Scheißegal-Haltung. Wer von beiden die Idee dazu hat, ist noch nicht erforscht, doch das Ergebnis ist immer gleich. Vor allem im Herbst tummeln sich zahlreiche Ehepaare älteren Semesters in der Öffentlichkeit, die alle jeweils die gleiche Softshell-Jacke von Jack Wolfskin tragen. Vorzugsweise in Rot oder Orange, damit sie besser gesehen werden, wenn sie im November auf ihren E-Bikes durch die Dämmerung rasen.
Vielleicht hat aber auch fortschreitende Vergesslichkeit damit zu tun. Falls sich beide beim Bummel über den Herbstmarkt mal verlieren sollten, reicht es, wenn er den Mann vom Roten Kreuz bittet: „Können Sie bitte meine Frau wiederfinden? Ich habe vergessen, wie sie heißt, aber sie trägt die gleiche Jacke wie ich.“
Und wobei endlich mal jemand hart durchgreifen sollte, das ist das Tragen von weißen Socken in Sandalen. Vor allem das Tragen von 20 Jahre alten weißen Socken in 30 Jahre alten Sandalen.
Da muss sich endlich mal jemand drum kümmern…
[…] gerne mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Pünktlich zu besagter Visite aktiviert der betagte Rentner sein Sprachzentrum und schreckt nicht vor fachlichen Diskussionen mit dem Chefarzt […]
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[…] spazierte er noch etwas im Stadtpark umher, fütterte Enten und unterhielt sich mit ein paar Rentnern über das schöne […]
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[…] was habe ich in den letzten eineinhalb Jahren nicht alles geschrieben! Rentner kamen mehr als einmal nicht gut bei mir weg, genauso die Deutsche Bahn. Über Flüchtlinge habe ich […]
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[…] Rentner, Falschparker, Kinder, Sportler und alle anderen Menschen. […]
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[…] ein kurzes Kapitel gewidmet werden. Viele Kinderfotos sind ja wirklich niedlich und der Nachwuchs ist verständlicherweise der ganze Stolz der Eltern. Solange die Kinder jedoch nicht selbst […]
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[…] viel Schmuck und einen glänzenden Hut. Jeder freut sich, wenn er uns sieht. Vor allem die Kinder bestaunen uns mit offenem Mund und blicken mit leuchtenden Augen zu uns hinauf. Wir glitzern und […]
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[…] Kinder wollen auch immer nur haben! Haben, Haben, […]
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[…] natürlich dürfen auch die Rentner nicht fehlen. Reisende Ruheständler stehen in Sachen Lautstärke den jüngeren Fahrgästen meistens […]
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