2046 (4:00)

Das Schöne am Bahnfahren ist, dass ich unterwegs so unglaublich viele Dinge erledigen kann. Ich habe mich damals vor allem deswegen bewusst für das Pendeln mit der Bahn entschieden, weil ich an Bord so viele Möglichkeiten habe, meine Freizeit zu gestalten. Essen und Kaffee trinken ist längst nicht mehr alles, womit ich mir in einem modernen Intercity der Deutschen Bahn die Zeit vertreiben kann.

Letztens erst. Da hatte ich nach Feierabend gerade im Zug Platz genommen und mein Abendessen ausgepackt. Currywurst/Pommes rotweiß. Darauf hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut. Mein Lieblingsimbiss am Bahnhof machte immer riesige Portionen – genau das Richtige nach einem anstrengenden Arbeitstag. An diesem Abend hatte der Pommeskönig allerdings das Rot und das Weiß vergessen. Da bin ich einfach einen Waggon weiter an die Snacktheke spaziert und habe mir dort eine Portion Mayonnaise und ein Beutelchen Tomatenketchup geschnappt. Einfach so. Irre, oder?

Als ich mit dem Essen fertig war, legte ich mein übliches Schläfchen ein. Dank der schalldichten Einzelkabinen, mit denen die Züge jetzt alle ausgestattet sind, stand meiner Erholung nichts im Wege. Die Kabinen und die damit verbundene Klima- und Lüftungsanlage sind auch der Grund, warum sich im Zug jetzt niemand mehr durch üble Essengerüche, wie zum Beispiel Currywurst/Pommes, gestört fühlt. Echt praktisch!

Doch schlafen kann ich eigentlich nie lange im Zug. Zu aufregend sind die Freizeitmöglichkeiten, die ich hier drin in Anspruch nehmen kann. Der Wellness-Waggon, der mittlerweile auf fast allen deutschen Langstrecken eingesetzt wird, ist eine wunderbare Erfindung. Meistens starte ich mit ein paar Minuten lockerem Warmlaufen in dem Abteil mit dem Laufband. Manchmal schaffe ich auch noch zehn Minuten auf dem Fahrradergometer. Zur Entspannung gönne ich mir danach einen Besuch im Abteil mit der Massage. Die Damen und Herren dort haben das wirklich drauf, Mann, Mann! Wenn nötig, gehe ich auch zur Maniküre, Pediküre, Gesichtsbehandlung oder zum Frisör.

Total begeistert bin ich außerdem von den Shoppingmöglichkeiten im Zug. Manchmal fällt mir abends ein, dass wir ja noch Brot brauchen. Oder Milch. Oder dass meine Frau Geburtstag hat. Dann gehe ich in den kleinen Supermarkt, der sich meistens am Ende des Intercity befindet und kaufe ein. Pfandflaschen wegbringen ist hier auch kein Problem. Und richtig begeistert bin ich von der Frischfleischtheke! Vor allem während der Grillsaison. Die haben da eine Auswahl – sag-gen-haft! Service wird hier auch großgeschrieben. Meine Einkäufe werden von einem Angestellten in eine Tüte gepackt und mir am Bahnhof meistens sogar bis zum Auto getragen. Natürlich nur, wenn gerade keine Verspätung ist, also eigentlich immer.

Dass es tatsächlich keine Verspätungen mehr gibt, konnte ich am Anfang erst nicht glauben. Die Bahn hatte ihre Pünktlichkeitsoffensive vor vielen Jahren groß angekündigt. „Ja, nee, is klar“, hatten die meisten da noch gedacht. Ich auch. Doch das hat sich gelegt. Seitdem die Pünktlichkeitsmanager ihre Arbeit in der Leitzentrale aufgenommen haben, läuft alles wie geschmiert. Meistens bin ich sogar eine Minute früher da als geplant. Zeit zu haben ist ein großer Luxus, den die Bahn einem täglich bietet. Echt beeindruckend!

Auch jetzt gerade profitiere ich von diesem Luxus. Ich sitze im Zug auf dem Weg nach Hause und bin entspannt, frisch geduscht, wurde massiert und frisiert und habe Salat, Rinderbraten und Tiramisu für das Wochenende eingekauft. Ich habe noch ein paar Minuten Zeit und schreibe diese Geschichte. Der Schaffnobot 2000 rollt durch die Gänge und kontrolliert die Tickets. Neben mir liegt die Tageszeitung mit der Schlagzeile „US-Präsidentin Miley Cyrus wiedergewählt“. Wir fahren in den Bahnhof ein und ich steige aus. Während mir die Einkäufe zum Auto getragen werden, grüße ich das Verkäuferhologramm am Bahnhofskiosk. Wir kennen uns.

„Frohes neues Jahr 2046“, wünscht mir das Hologramm.

„Gleichfalls!“, erwidere ich.

Wenn ich nächstes Jahr in Rente gehe, werde ich den täglichen Luxus beim Bahnfahren echt vermissen.

14 Gedanken zu „2046 (4:00)

  1. Tut – tut – tut – Dein Wecker klingelt. Aufwachen im Jahr 2016.
    Stellwerksprobleme, die S-Bahn ist zu spät, was aber gar nicht schlimm ist, weil Dein ICE ausfällt, 48 min. später abfährt oder heute außerplanmäßig in xy hält (geeignete einfach auswählen), so dass Du den Anschlusszug eh nicht bekommen hättest

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