EM: Elektriker gegen Maurer (3:15)

Die Renovierung unseres Hauses frisst momentan meine komplette Aufmerksamkeit. Ich kann mich zur Zeit auf nichts anderes konzentrieren. Bei der Arbeit gehe ich in Gedanken den ganzen Tag Tapetenmuster durch. Letztens habe ich statt „Rechnungsprüfung und Buchhaltung“ doch tatsächlich „Raufaser und Bordüre“ als Überschrift über eine Excel-Tabelle geschrieben. Im Straßenverkehr beachte ich die anderen Autos kaum. Bei der Fahrt über den anthrazitfarbenen Asphalt denke ich nur, dass Rot, Gelb und Grün als Wandfarben auf keinen Fall in Frage kommen.

Auch nach Feierabend auf dem Sofa lässt mich das Thema nicht ruhen. Was im Fernsehen läuft, ist egal, denn ich denke die ganze Zeit nur an Inneneinrichtung, Steckdosen und Abflussrohre. Wenn beim „Tatort“ die Leiche untersucht wird, schaue ich mir an, welche Farbe der Parkettfußboden hat, auf dem sie liegt. Ist das Eiche? Solch eine Maserung könnte ich mir bei uns im Wohnzimmer auch gut vorstellen. Ist der Mensch im Bad ermordet worden, wie in dieser einen Folge vom „Tatortreiniger“, denke ich, dass Weiß und Blutrot doch ziemlich krasse Gegensätze sind. Rote Fliesen sind außerdem irgendwie voll Achtziger und nicht zu empfehlen.

Die Fußball-EM geht bisher ebenfalls komplett an mir vorbei. Nur gut, dass sie so langweilig begonnen hat, denn dann verpasse ich nicht wirklich viel. Ich schaue mir die Spiele zwar an. So viele, wie möglich und jetzt schon mehr, als ich dachte. Doch statt Spielern, Schiedsrichtern und Zuschauern sehe ich nur Handwerker und Werkzeuge über den Platz rennen. Mal spielen Fliesen gegen Holzdielen, ein anderes Mal treffen Schrauben auf Nägel. Erst gestern lieferten sich Toilettenschüsseln und Duschköpfe eine spannende Partie.

Ich sehe die Stars vom Hamburger Schraubverein, Fußleiste Istanbul, Bohrfutter Dortmund, Armatur Bielefeld, Backstein München, Dübel Dresden, Regal Madrid, Schaumstoff 04 und Ajax Kabelkram. Manche Partien ziehen sich wie zäher Tapetenkleister, andere sind knallhart wie Zement. E und M – das bedeutet für mich Elektriker gegen Maurer, Energieberater gegen Maler, Estrich gegen Mörtel. Nur der Schiedsrichter ist immer gleich: Die Bank. Sie entscheidet, welche Baumaßnahmen finanziert werden können und welche nicht.

Bei uns auf dem Platz geht es drunter und drüber. Ohne Ende werden gelbe Karten verteilt, zum Beispiel, wenn eine Baugenehmigung nicht erteilt wurde und der Antrag nachgebessert werden muss. Gefoult wird, was das Zeug hält. Ständig kommt etwas dazwischen, was das Team schwächt. Hier wird ein falsches Loch gebohrt, dort geht eine Fliese zu Bruch, woanders muss unerwartet ein Stahlträger eingezogen werden. Einige Verletzte sind bereits vom Platz getragen worden. Nichts Schlimmes. Das sind alles Profis.

Anders als im Fußball dauert unser Spiel länger als 90 Minuten. Noch haben wir nicht einmal die erste Halbzeit überstanden. Bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht in die Nachspielzeit müssen und das Geld für alle wichtigen Transfers bis zum Abpfiff reicht.

14 Gedanken zu „EM: Elektriker gegen Maurer (3:15)

  1. Mal sehen, ob es mir gelingt, Dich zu weiteren Gedankensaltos zu bringen: blau, rot und gelb sind tolle Wandfarben. Rot war anspruchsvoll zu streichen, stellenweise bis zu dreimal. Gelb war besser. Und ich wage zu behaupten, ich möchte nie wieder in einer Wohnung ohne gelbe Wand wohnen. Wenn da die Sonne drauf scheint, das leuchtet so toll. Und ja nachdem, wass bei Euch so an den Nägeln hängt, macht dunkelrot oder sonnengelb einen klasse Hintergrund. Grün, ja, da wäre ich auch skeptisch.

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  2. Ach man! Jetzt hat es das doch nicht so gemacht, wie ich wollte! Ich / bin stand genau über wer, denn ich bin wer – hand-wer-ker…
    Ich bin nicht wer, sondern werIn, weswegen die Technik auch nicht so mit mir kann, ach man.

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    1. Danke für die Bemühungen und diesen auch optisch anspruchsvollen Kommentar! In meiner WordPress-App wird er sogar annähernd korrekt dargestellt, sodass ich, wenn auch erst auf den zweiten Blick, eine Ahnung davon bekomme. :-)

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  3. Hier in der Gegend gab es vor längerer Zeit eine Kampagne fürs Handwerk. Dafür bappte sich ein jeder von denen, der was von sich hielt einen Aufkleber meist an den Transporter:
    Ich
    bin
    h a n d wer k e r
    !
    Vielleicht hilft Ihnen das, den Umgang mit diesem Völkchen zu erleichtern, man muss schließlich den Fiffi auch streicheln und loben, dass er das Stöckchen ordentlich apportiert!
    Die Version für stupide Kleinhirne im Bankgewerbe will mir allerdings partout nicht einfallen, vielleicht haben Sie Vorschläge…
    Gute Nerven weiterhin!

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      1. Ich nicht. Zumindest was den Nachwuchs anbetrifft. Kürzlich im BackhandWER?ksgewerbe verlangte ich doch glatt vom Stift ein halbes Brot. Er nahm den ganzen Laib aus dem Regal, schaute irritiert zwischen dem Brot und mir hin und her und fragte dann leicht dämlich: „Soll ich das jetzt durchschneiden?“ Nee, Brot kann man doch beißen, Dummerle…

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      2. Generell ist bei der Wer-Zunft auf die Finger zu achten. Sind die Nägel des Installateurs manikürt und kommt er gar mit einem schwarzen Klappkasten daher, schicken Sie ihn weg, treten Sie ihn aus dem Bad und fassen Sie ihn bloß nicht an! Der Mann verpasst sonst nicht nur Ihrer Kloschüssel ein update…

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