Ingo M. Petent – Meine eigene Schöpfung hat mich eingeholt, wie mir scheint. Der Kompetenzabstinenzler war ja einige Zeit bei der Lügenpresse beschäftigt und hat anschließend als Küchenverkäufer gearbeitet. Was er momentan beruflich macht, weiß ich nicht, doch er fährt jetzt anscheinend mit dem Fahrrad durch meine Stadt und kann nicht mit einem Fahrradschloss umgehen. Woher ich das weiß? Weil er vorgestern sein Fahrrad am Bahnhof abgestellt und mit seinem Schloss nicht nur sein eigenes, sondern auch mein Rad, das dort bereits stand, mit angeschlossen hat. Es muss Ingo gewesen sein, ich bin mir ganz sicher!
Völlig fassungslos stand ich an dem Abend vor meinem Fahrrad und konnte es gar nicht glauben, dass jemand nicht einmal über die intellektuelle Grundausstattung verfügt, um ein Fahrrad richtig anzuschließen. Ok, korrekt angeschlossen war sein Fahrrad ja. Aber meins gleich mit!
Gut zehn Minuten lang versuchte ich, mein Rad aus dieser misslichen Lage zu befreien. Doch wie ich es auch drehte und wendete, mein Fahrrad konnte ich an diesem Abend nicht mit nach Hause nehmen. Dafür hatte ich jetzt dreckige Hände. Schönen Dank auch!
Während ich mich zu Fuß auf den Weg nach Hause machte, suchte ich nach einer schlüssigen Erklärung für das Unglück. Ist Ingo durch Smartphone und Autoverkehr so sehr abgelenkt gewesen, dass er es schlichtweg nicht gemerkt hat? Oder war er im Stress, weil er seine Bahn nicht verpassen wollte? Und vorher noch Zeitung, Kaffee und Brötchen am Bahnhofskiosk kaufen musste?

Ich glaube allerdings, dass Ingo tatsächlich ein Idiot ist. Wenn man es ganz genau nimmt, hat er mein Rad nicht wirklich angeschlossen. Er hat sein Rad aber so dicht neben meins gestellt und sein Schloss an meinem Fahrradständer befestigt, dass sich mein Gefährt unmöglich aus dieser Umklammerung befreien konnte (siehe Foto). Gut möglich, dass sich Ingo tatsächlich Gedanken gemacht hat und in einem spontanen Dummheitsanfall dachte, dass er mir damit nicht schadete, weil sein Schloss mein Rad ja gar nicht berührte. Aber falsch gedacht. Auch ohne physischen Kontakt waren die Auswirkungen verheerend. So müssen sich Tiere im Zoo fühlen. Sie sind zwar nicht angekettet, doch der Wassergraben trennt sie von einem Leben in Freiheit.
Ich war also ziemlich sauer an diesem Abend und hoffte, dass Ingo später als ich Feierabend machte und sein Fahrrad im Laufe des Tages noch entfernen würde.
Gestern Morgen musste ich also zum Bahnhof laufen. So schlimm war das gar nicht. Das Wetter war gut und ich beobachtete einen Specht, der auf dem Flutlichtmast des Sportplatzes saß und ständig gegen das Kunststoffgehäuse der Leuchte hämmerte. War das etwa auch ein Ingo?
An den Fahrradständern des Bahnhofs stellte sich leider kein Happy End ein. Ingo hatte sein Rad immer noch nicht abgeholt und so konnte ich meines nicht in Sicherheit bringen.
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Polizei um Rat zu fragen. Ich suchte extra die Dienstnummer heraus, denn die Beamten in der Notrufzentrale wollte ich mit dieser idiotischen Geschichte nicht belästigen. Die Dame am Telefon erklärte mir, dass ich nachweisen müsste, dass das Fahrrad, das ich befreien möchte, tatsächlich mir gehört. Der Schlüssel zum Schloss würde nicht reichen, da ich dieses vorher selbst hätte anbringen können. Ich versuchte, der Beamtin zu erklären, dass es sich bei meinem Bahnhofsfahrrad um ein verrostetes Erbstück meiner Oma handelte, dass sicherlich keiner stehlen wollte. Diebe klauten heutzutage alles, war ihre Antwort.
Die Polizistin gab mir den Rat, ein Foto herauszusuchen, auf dem ich zusammen mit meinem Fahrrad abgebildet war. Das würde als Nachweis reichen. Wenn mein Gefährt am Abend weiterhin blockiert sein sollte, sollte ich mich erneut melden, dann könnten mir die Kollegen in Verbindung mit meinem Fotonachweis sicherlich helfen.
Mein Zug kam und ich fuhr zur Arbeit. Den restlichen Tag verbrachte ich damit, zu überlegen, bei welchen Gelegenheiten mein Fahrrad und ich zusammen fotografiert worden waren. Mir fielen ein paar Fahrradtouren an Himmelfahrt ein sowie ein Urlaub an der Ostsee, bei dem ich vor einigen Jahren mehrere Tage radelnd im Regen verbracht hatte. Bei den Vatertagstouren hoffte ich, ein Bild zu finden, auf dem man mir den Alkoholkonsum an diesem Tag nicht ansah.
Nach Feierabend setzte ich mich wieder in den Zug Richtung Heimat und rechnete damit, den Abend im Fotoarchiv auf meinem Rechner wühlend zu verbringen. Als ich eine Stunde später ausstieg, behielt ich mein Handy in der Hand, um auf dem Fußweg nach Hause Musik hören zu können.
Doch Ingo war im Laufe des Tages anscheinend gegen eine Laterne gelaufen und hatte sich daran erinnert, wie man ein Fahrradschloss richtig benutzt. Als ich an meinem Rad ankam, stand es frei von jeglicher Einschränkung da und wartete darauf, dass ich es mit nach Hause nahm. Kurz war ich enttäuscht, denn ich hatte mir bereits ausgemalt, wie ich über Ostern jeden Tag über den Zustand meines gefangenen Fahrrades berichten würde. Dann aber radelte ich glücklich nach Hause.
Ich werde in den kommenden Wochen Ausschau nach dem Rad von Ingo halten. Vielleicht kann ich ihm eine ähnlich große Freude bereiten, wie er mir.
[…] Comicstrip bezeichnet worden. Ein Geräusch, das diesem sehr nahe kam, verursachte nämlich ein Radfahrer, der wenige Meter vor mir in voller Fahrt mit dem Untergrund kollidierte. Mit anderen Worten: Er […]
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[…] mal Vaddi, wäre das nicht ein Job für dich?“, fragte Ingo M. Petent seinen Vater, während er ihm mit der Zeitung vor der Nase […]
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Du hättest Ingo eine nette Notiz am Fahrrad hinterlassen können. Wäre sicher interessant gewesen, ob/was er (oder sie?) geantwortet hätte.
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Das hatte ich wirklich vor. Nur hatte ich leider keinen Zettel dabei. Es wäre in der Hitze des Gefechts sicher nichts Nettes geworden. ;-)
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