Festival with myself (11:00)

„Zur Not fahre ich auch alleine.“ Zu Beginn der Festivalplanung für dieses Jahr war das eigentlich nur so daher gesagt. Eine Notlösung. Doch je länger sich niemand aus meinem Freundeskreis meiner Begeisterung für das Line-up von „Rock im Park 2019“ anschließen wollte, desto mehr kristallisierte sich heraus, dass ich tatsächlich allein dorthin fahren würde. Und es wurde ein großartiges Wochenende.

Bereits Ende letzten Jahres war mir vollkommen klar, dass ich auch 2019 wieder zu „Rock im Park“ fahren muss. Spätestens nachdem Tool und Slipknot als Headliner bestätigt wurden, hielt es mich innerlich nicht mehr auf dem Stuhl. Ich musste dahin. Unbedingt.

Eine ähnliche Euphorie war drei Jahre zuvor in mir entbrannt, nachdem Black Sabbath für dieses Festival angekündigt wurden. Ja, tatsächlich Black Sabbath! Die Erfinder des Heavy Metal und der Pommesgabel. Fast 50 Jahre Rockgeschichte live auf der Bühne. Den Auftritt von Ozzy Osbourne, Tony Iommi und Geezer Butler werde ich nie vergessen. Ich fühlte mich, als würde ich einem lebendigen Stegosaurus beim Fressen zugucken.

Tool-Fan seit 18 Jahren

Und nun also Tool. Wahrlich noch lange nicht so geschichtsträchtig wie Black Sabbath, für mich aber eine der besten Progressive-Metal-Bands auf diesem Planeten. Es muss im Jahr 2001 gewesen sein, als ich das erste mal von Tool hörte. Beim damals noch sehr beliebten zappen durch die TV-Kanäle blieb ich beim Sender Viva Zwei hängen, auf dem Charlotte Roche gerade das Video zum Tool-Song „Parabola“ anmoderierte. Was ich anschließend zu sehen bekam, war ein düsterer Film mit befremdlichen Figuren und dystopischer Atmosphäre. Dazu kamen Trickelemente, gedreht in Stop-Motion-Technik. Absolut fantastisch. So etwas hatte ich bisher noch nicht gesehen. Und gehört auch noch nicht. Der Song dauerte gut zehn Minuten, wovon allein das Intro ganze drei Minuten für sich beanspruchte. Musikalisch war ich total fasziniert. Der Song war kraftvoll, aber nicht brutal. Die Spannung baute sich langsam auf und entlud sich schließlich. Dazu der mystische Gesang und die kunstvollen Bilder. Kein Hau-drauf-Metal, sondern eher etwas zum Nachdenken. Zum darin versinken. Ich war total überwältigt.

Kurz darauf stand ich in der Hamburger Innenstadt bei „World of Music“, kurz: WOM, und hörte zur Probe in das komplette Album „Lateralus“ rein. Mein Studentenbudget war knapp, doch es bestand kein Zweifel, dass ich es in diese CD investieren musste. Und seitdem ist meine Faszination in Bezug auf Tool ungebrochen.

Die Geduld der Tool-Fans ist zuletzt auf eine harte Probe gestellt worden, denn zum Zeitpunkt der Verkündung ihrer Festivalauftritte in Deutschland waren seit der Veröffentlichung ihres letzten Albums fast 13 (!!) Jahre vergangen. Umso verständlicher war die Euphorie, die mich nun erfasste.

Doch mit meiner Begeisterung schien ich niemanden anstecken zu können. Dabei hatte das Line-up neben Tool noch weitere Rock’n’Roll-Schwergewichte zu bieten. Slipknot, Slayer, Die Ärzte, The Smashing Pumpkins, Tenacious D, Amon Amarth, Godsmack, Architects, Eagles of Death Metal, Arch Enemy, Feine Sahne Fischfilet – In vielerlei Hinsicht war es für mich ein perfektes Programm mit zahlreichen Bands, die ich noch nie gesehen hatte. Und das will schon was heißen, schließlich bin ich seit 2002 regelmäßiger Festivalgänger.

Aber wie das so ist mit dem Alter: Vier Tage Party abseits von Frau und Kindern lassen sich immer schwieriger in den Alltag integrieren und mit Ende 30 hält sich der Spaß am Zelten und dabei nicht duschen immer mehr in Grenzen. So plante ich schließlich für mich allein.

Festival mit Hotelzimmer

Wobei ich mich beim Thema Unterkunft sehr schnell vom staubigen Zeltplatz verabschiedete und mir ein stabiles Hotelzimmer mit Fernseher und fließend Wasser in der Nürnberger Innenstadt buchte. Und so bediente ich mich ein Wochenende lang jeden Morgen am umfangreichen Frühstücksbüfett und fuhr anschließend mit der Tram ein paar Stationen weit zum Festivalgelände. Ich mischte mich unters Volk, genoss Alkohol in Maßen, snackte mich einmal quer durch alle Fressbuden und genoss die Musik. Dieses Event auf diesem riesigen Gelände einmal komplett ohne Begleitung zur erleben, war eine ganz besondere Erfahrung. Nicht, dass ich mich in Gesellschaft meiner Freunde nicht wohl fühle, doch es ist etwas komplett anderes, wenn man zu 100 Prozent für sich entscheiden kann, was als nächstes kommt. Gehe ich nach links oder rechts? Schnell oder langsam? Was esse ich wann und wo? Stehe ich weiter hinten oder doch lieber ganz vorn? Eine ungeahnte Freiheit, die ich voll genießen konnte, nachdem ich mich auf sie eingelassen hatte.

Bei Tool am Sonntagabend stand ich in der fünften Reihe und ließ mir vom Bass den Kopf wegblasen. Für mich hätte es keinen schöneren Festivalabschluss geben können. Auf der Nachbarbühne spielten zwar noch Slayer bis tief in die Nacht. Und das war nicht minder geschichtsträchtig, befanden sich die Jungs doch gerade auf Abschiedstournee um die Welt. Doch mit Tool hatte ich einen ganz entscheidenden leeren Platz an meiner Trophäenwand füllen können und das konnte so schnell niemand mehr toppen. Ich fuhr zurück ins Hotel, warf meine kaputt getanzten Schuhe in den Müll und ging duschen.

Nun habe ich Blut geleckt. Ein Festival in Verbindung mit einem Hotelzimmer ist eine tolle Sache. Den Komfort möchte ich nun nicht mehr missen. Für 2020 sehe ich bislang allerdings schwarz. Von den großen Festivals hat mich bisher noch keines mit seinem geplanten Line-up überzeugen können. Vielleicht muss ich mal wieder ein Jahr aussetzen und diese mega Erfahrung von diesem Jahr erst mal sacken lassen.

Jahresrückblick 2019

Ist denn sonst nichts großes passiert? Dies soll doch ein Jahresrückblick werden! Natürlich ist noch mehr passiert! Ich musste nur erst mal das epische Potenzial meiner Festivalerfahrung ausschöpfen, ok?! Ok.

Auf einem Festival mit zelten, ohne duschen und mit vielen Freunden bin ich im Spätsommer auch noch gewesen. Bei teilweise 30 Grad im Schatten ging es beim Reload-Festival in Niedersachsen um die Wiederkehr einiger verschollen geglaubter Rockhelden wie Dog Eat Dog oder Clawfinger. Dazu neue Kracher wie Airbourne und Thundermother. Ein tolles Konzept in kleinerer Atmosphäre. Gerne wieder. Auch bei einem tollen Open-Air-Konzert bin ich gewesen, und zwar beim Abschiedskonzert von Kiss in Hannover. Dazu kamen viele Kurzurlaube, z.B. in Ostfriesland, in Norwegens Hauptstadt Oslo und zuletzt im Elbsandsteingebirge.

Glücklich arbeitslos

Ansonsten ging es bei mir in diesem Jahr hauptsächlich um die Jobsuche. Manches Mal erntete ich mitleidige Blicke, wenn ich sagte, dass ich noch nichts neues gefunden habe, doch ich muss sagen, dass ich dieses freie Jahr durchaus genossen habe. Wie sehr mir die Abhängigkeit von der Bahn auf die Nerven gegangen war, merkte ich erst so richtig, als ich nicht mehr jeden Tag aufs Neue bangen musste, ob mein Zug pünktlich ist oder nicht. Außerdem war es toll, mich mal wieder auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren zu können. Auf Spaß, Freizeit und Sport beispielsweise. Und es ist mir auch gelungen, meine ganze Krebserfahrung mal ausführlich zu rekapitulieren. Was einen neuen Job angeht, sieht es für das neue Jahr ziemlich gut aus und ich freue mich auf neue Aufgaben. Gleichzeitig bin ich sehr froh darüber, dass der Kontakt zu meinen ehemaligen Kollegen aus der mittlerweile aufgelösten Firma nicht abgerissen ist. Aus dem einst kollegialen Umfeld hat sich erfreulicherweise ein Stammtisch entwickelt. Letztens erst haben wir uns mit ca. 25 Leuten zur Weihnachtsfeier getroffen. Eine tolle Gemeinschaft, die mein Leben bereichert.

Ein Sommer voll Gemüse

Zu den weiteren Dingen, auf die ich mich während meiner diesjährigen Chill-out-Phase konzentrieren konnte, zählen Haus und Garten. Während innerhalb der vier Wände lediglich an kleineren Projekten wie WLAN-Unterputzradios, Luftbefeuchter und Wandbildern gearbeitet wurde, ging es auf dem Außengelände um ambitioniertere Experimente in Richtung Blühwiese und Gemüsegarten. Vor allem letzterer erfreute mein Gemüt, lieferte er uns über den Sommer doch acht wohlgeformte Zucchini mit einem Gesamtertrag von 3726 Gramm. Auch mit dem Gedeihen der Petersilie war ich sehr zufrieden. Bei Radieschen und Karotte war der Erfolg eher mau und auch beim Schnittlauch besteht noch Verbesserungsbedarf. Dafür habe ich nach drei Jahren entdeckt, dass es sich bei den zwei unscheinbaren Bäumchen am Grundstücksrand um Mirabellen handelt, die ganz unbeabsichtigt zu einer positiven Erntebilanz beigetragen haben. Ich freue mich auf den Sommer 2020, wenn auch die Erdbeeren zeigen können, was sie drauf haben.

Projekt Halbmarathon

Viel Zeit hatte ich auch endlich mal wieder für Sport. Vor allem für Sport bei Tageslicht. Anfang 2019 hatte ich den lockeren Entschluss gefasst, im Laufe des Jahres einen Halbmarathon absolvieren zu wollen. Ich wollte alles richtig machen und ließ mich im Frühjahr zum Thema Sporteinlagen für Laufschuhe beraten. Leider warf genau das mich in meiner Planung um Monate zurück, denn der Gebrauch dieser Einlagen führte immer wieder zu schmerzhaften Blasen und damit zu Trainingsausfällen. Das Fachpersonal bemühte sich redlich, die Beschwerden zu lindern, doch nichts führte zum Erfolg. Auch mit zwischenzeitlich neu angeschafften Laufschuhen kam ich nicht weiter. Statt im Juni in Hamburg lief ich schließlich im Oktober in Bremen den ersten Halbmarathon meines Lebens. In alten Laufschuhen ohne Einlagen, so wie ich die Wochen zuvor auch trainiert hatte. Ganz langsam hatte ich mich im Training an die Distanz herangetastet. Hatte zwölf, 14 und 16 Kilometer geschafft. Schließlich 18 und 20. Und erst dann meldete ich mich an. In Bremen kam ich nach 2:12 Stunden ins Ziel und war damit mehr als zufrieden.

Drei Jahre nach dem Krebs

Und der Krebs? Stimmt, da war ja was. Meine Krebserfahrung ist in diesem Jahr wieder ein Stück weiter in den Hintergrund gerückt. Nicht ohne Grund taucht dieser Punkt erst am Ende dieses Beitrags auf. Ich habe jetzt drei Jahre der Nachsorge hinter mir. Drei wichtige krebsfreie Jahre. Das MRT ist weiterhin unauffällig und äußerlich verblassen die Narben immer mehr. Gedanklich nimmt die Erkrankung wieder weniger Platz ein. Viel Ruhe und Entspannung haben in diesem Jahr dazu beigetragen, dass ich diese Erfahrung ausführlich nachbereiten konnte. Natürlich bleibt sie weiterhin ein Teil von mir, doch mit der Zeit freue ich mich mehr über die Dinge, die mir geblieben und dazugekommen sind, als dass ich traurig bin, über das, was ich verloren habe. Es liegt mehr Nachsorge hinter mir als vor mir. Der Schock der Diagnose hat sich in Motivation für die Zukunft verwandelt. Alltägliche Dinge werden wieder alltäglich. Ich bin noch nie zuvor auf gleich zwei großen Festivals in einem Sommer gewesen. Und ich habe tatsächlich einen Halbmarathon geschafft. Drei Jahre nach dem Krebs. Alles ist möglich.

2 Gedanken zu „Festival with myself (11:00)

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