Das zweite Jahr nach dem Krebs (8:00)

Bezogen auf meine Gesundheit verlief der Start ins Jahr 2018 eigentlich ganz gut. Die alljährliche Krebsnachsorgeuntersuchung im Januar inklusive MRT förderte keine neuen Bedrohlichkeiten ans Tageslicht. Beim Radiologen musste ich diesmal auch nicht so lange im Wartezimmer hocken wie beim letzten Mal und wenige Tage später wurden mir durchweg positive Ergebnisse präsentiert – alles gut.

Meinem Urologen machte allerdings ein kleines Bläschen in der Nähe der einstigen Befallstelle am Penis etwas Sorgen. Oder besser gesagt wusste er nicht wirklich, wie er damit umgehen sollte. Aus dem Bauch heraus hätte er es wohl einfach „punktiert“, also aufgestochen, aber eine Lösung des Problems schien das nicht zu sein. Mein Urologe verwies mich also kurzerhand wieder an die Experten in Rostock.

Das Bläschen sah genau so aus, wie jene Exemplare, die gelegentlich an Fersen oder Zehen auftauchen. Klein und rund und mit etwas Flüssigkeit versehen. Nicht wirklich schmerzhaft, aber am Geschlechtsorgan natürlich nicht an der richtigen Stelle. Ich setzte mich also wieder mit der Uniklinik Rostock in Verbindung, sprach dort wenige Tage später vor und wurde dort schließlich ambulant operiert. Über meinen Aufenthalt in der Tagesklinik habe ich ausführlich berichtet. Mit der OP wurde eine Verengung ausgeglichen, die als Ursache für die Bläschen ausgemacht wurde. Gleichzeitig wurden Proben entnommen und untersucht. Neue Krebszellen wurden darin nicht gefunden, sodass ich mich einem erneuten Albtraum einer Krebsbehandlung nicht stellen musste. Seit der OP sind jetzt fast acht Monate vergangen und es sind keine neuen Bläschen oder andere Unstimmigkeiten aufgetaucht. Die Maßnahme schien also die richtige gewesen zu sein.

Die Sache mit der Erkältungsanfälligkeit habe ich in diesem Jahr allerdings noch nicht in den Griff bekommen. Seit geraumer Zeit versorge ich mein Immunsystem zusätzlich mit Zink und Vitamin D, allerdings mit geringem Erfolg. Anfang März fing ich mir einen derart schweren Infekt ein, dass ich weder beim traditionellen Wasa-Lauf in Celle, noch beim Hannover Marathon meine Paradestrecke über zehn Kilometer laufen konnte. Ich bekam sogar eine ärztliche Anweisung, aufgrund der Erkrankung auf körperliche Anstrengung zu verzichten. Schöne Scheiße! Dabei wollte ich es doch dieses Jahr wieder wissen und sportlich einen Schritt nach vorne machen. Stattdessen musste ich das erste Mal seit 15 Jahren auf eine Teilnahme am Wasa-Lauf verzichten.

Und es sollte sportlich erstmal nicht besser werden. Im Juni machte ich mich zwar auf den Weg zum Abendlauf nach Uelzen, konnte aber nicht antreten, weil ich meine Laufschuhe zu Hause vergessen hatte.

Als ersten erfolgreichen Sportwettkampf in diesem Jahr absolvierte ich Ende August spontan die Benefizregatta „Rudern gegen Krebs“ in Celle. Ich sprang als Ersatzmann für einen erkrankten Teilnehmer in einem Firmenboot ein und führte meine Mannschaft zu einem siegreichen ersten Lauf. Ende September nahm ich an der Urban Challenge in Celle teil (siehe Titelbild), ein spaßiges Event, bei dem ich nicht nur vier Kilometer laufen, sondern auch Sandsäcke schleppen und über parkende Autos klettern musste. Am Ende kam ich als Siebter meiner Altersklasse ins Ziel und hatte das Gefühl, als wäre noch mehr möglich gewesen. Positive Erlebnisse.

Der Urlaub in den USA wurde leider wieder von Krankheit getrübt. Auf dem Flug in die Staaten muss ein Virus irgendwie seinen Weg zu mir gefunden haben, sodass ich gut zwei Wochen lang mit Husten und Kopfschmerzen zu kämpfen hatte. Der Stimmung war das zwischendurch alles andere als zuträglich, doch irgendwann fügte ich mich meinem Schicksal, pendelte regelmäßig zwischen Hawaii-Strand und Apothekenregal hin und her und zog die Sache irgendwie durch.

Ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen meiner Krebserfahrung vor zwei Jahren und meiner immer noch anhaltenden Krankheitsanfälligkeit gibt, weiß ich ehrlicherweise nicht. Vielleicht ist es auch das Alter. Oder das ständige Zugfahren. Oder nur Zufall. Ich weiß nur, dass seit meiner Krebserkrankung Häufigkeit und Dauer von Erkältungen zugenommen haben. Als Referenz führe ich gerne meine Volontärszeit beim Radio an, bei der ich in zwei Jahren nicht einen einzigen Tag krank gewesen war.

Ich habe keine Beweise dafür, dass es die einstige Krebserkrankung ist, die auch zwei Jahre später immer noch Auswirkungen auf mein Immunsystem hat. Zum Vergleich hätte ich die vergangenen beiden Jahre auch gerne ohne die Krebs-OPs erlebt, um zu sehen, ob ich dann auch so oft krank geworden wäre. Aber das war ja leider nicht möglich. Ihr könnt mir folgen? Ich hoffe doch.

So geht das Jahr 2018 also langsam zu Ende und irgendwie ist vom Krebs immer noch was da. Gefühlsmäßig zumindest, denn zu sehen ist mittlerweile kaum noch etwas. Auch nach der erneuten OP in diesem Frühjahr sind die Wunden wieder gut verheilt und das einstige Problemorgan macht wieder eine gute Figur. Auch wenn jetzt ein Stück Haut fehlt, ist es von vergleichbaren handelsüblichen Geschlechtsorganen kaum zu unterscheiden. Man müsste schon ganz nah ran gehen, aber wer macht denn sowas?

Auch die anderen Narben entwickeln sich prächtig. Von den beiden Einschnitten rechts und links an der Leiste ist kaum noch etwas zu erahnen. Manchmal bin ich fast enttäuscht, dass sie fast gar nicht mehr zu sehen sind, dabei haben gerade sie mir das Leben so schwer gemacht. Die große rechteckige Flächennarbe auf dem linken Oberschenkel ist zwar noch da, aber auch nur noch schwach erkennbar. Aus dem ehemals cervelatwurstähnlichen Farbton ist mittlerweile eine leichte Hautirritation geworden. Dass das so schnell geht, hätte ich nicht für möglich gehalten.

Mein Lymphsystem scheint sich ebenfalls wieder beruhigt zu haben. Zur Erinnerung: Nach der Lymphknoten-OP in der Leiste war ich monatelang auf Kompressionsstrümpfe und Lymphdrainage angewiesen. Bei längerem Sitzen schwollen meine Beine und Füße an. Normale Socken mit Gummizug konnte ich nicht tragen. Weder Ärzte noch Physiotherapeuten wagten eine Prognose, wann und ob überhaupt die Lage sich wieder entspannen würde. Das rechte Bein machte schließlich erkennbare Fortschritte und die Physiotherapeutin in der Reha-Klinik machte mir schließlich etwas Hoffnung, indem sie sagte: „Wenn das so weiter geht, haben Sie gute Chancen, die Dinger irgendwann wieder loszuwerden“. Sie meinte die Strümpfe. Und so kam es schließlich auch. Ich versuchte, auf genug Bewegung zu achten, um Kreislauf und Lymphsystem zu beschäftigen. Ich verzichtete oft auf U-Bahn und Fahrstuhl und entschied mich bei immer mehr Strecken für den Fußweg. Außerdem legte ich mir neue Socken ohne Gummibund zu. Und irgendwann entspannte sich die Situation tatsächlich. Heute kann ich wieder länger sitzen, ohne gleich dicke Füße zu bekommen. Meine Beine sehen fast wieder normal aus und auch meine Lieblingssocken mit Gummizug, die ich natürlich nicht aussortiert habe, habe ich schon wieder getestet.

Das zweite Jahr nach meiner Krebserfahrung ist jetzt fast vorbei und es war in vielerlei Hinsicht einfacher als das erste Jahr. Im zweiten Jahr waren die Jahrestage von Diagnose, OPs und Entlassung nicht mehr so präsent, das Gefühl eindeutig besser. Die Gedanken auch. Natürlich bin ich noch nicht über den Berg, denn die Nachsorgephase ist gerade einmal zur Hälfte vorbei. Ich befinde mich immer noch in „Heilungsbewährung“, wie es auf meinem Behindertenausweis so schön heißt. Gut zweieinhalb unauffällige Jahre müssen noch vergehen, bis ich mich vollends entspannen kann. Ich bin nicht überschwänglich optimistisch. Aber vorsichtig positiv gestimmt. Zumindest was den Krebs angeht. Frohes neues Jahr allerseits!

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