Könnt ihr euch noch an das eine Jahr erinnern, in dem Boris Becker in Wimbledon mit einer Bratpfanne spielen musste, weil er seinen Tennisschläger vergessen hatte? Oder der Deutschlandachter? Als die komplette Mannschaft einmal schwimmend an den Start gehen musste, weil die ihr Boot nicht dabei hatten? Und letztens erst musste sogar Sebastian Vettel von einem Techniker in der Schubkarre über die Strecke geschoben werden, weil das Auto plötzlich nicht mehr aufzufinden war. Irre Geschichten! Solche Missgeschicke passieren auch den größten Sportprofis. Da ist es also absolut nachvollziehbar, dass auch ich letztens zu einem Volkslauf fahren wollte und dann zu spät gemerkt habe, dass ich meine Laufschuhe nicht dabei hatte.
Was für ein Missgeschick! Dabei hatte ich mich so akribisch auf diesen Lauf vorbereitet. Da ich in diesem Jahr meine Traditionsläufe im März und April krankheitsbedingt leider hatte absagen müssen, wollte ich wenigstens diesen Lauf Anfang Juni absolvieren. Deswegen hatte ich alles in die Wege geleitet, damit ich fit genug und pünktlich am Start stehen konnte.
Zwei Wochen vorher hatte ich mein Training endlich wieder intensivieren können, nachdem ich durch eine erneute OP drei Wochen pausieren musste. Zuletzt war ich ca. jeden zweiten Tag gelaufen, um für die angepeilten zehn Kilometer genug Ausdauer zu haben.
Am Wettkampftag selbst hatte ich mir einen genauen Ernährungsplan zurechtgelegt, um bis zum Start des Abendlaufes um 19 Uhr versorgt zu sein. Morgens Vollkornbrot, mittags Nudeln mit Ei und Pesto, nachmittags, ca. zweieinhalb Stunden vor dem Start, noch ein Nutellabrot.
Bis zur Abreise liefen meine Vorbereitungen wie am Schnürchen. Zur geplanten Abfahrtszeit schnappte ich meine Sachen und setzte mich neben meine Frau auf den Beifahrersitz ihres Autos. Der Lauf fand im Nachbarlandkreis Uelzen statt, die Fahrt dorthin sollte ca. eine Stunde dauern.
Es war ein heißer Sommertag mit Temperaturen um die 30 Grad, auch in den Abendstunden. Dabei war es erst Anfang Juni. Für die Fahrt hatte ich mir ein isotonisches Getränk vorbereitet, damit ich mit einem ausreichend hohen Flüssigkeitshaushalt an den Start des Laufes gehen konnte. Trotz angekündigter Getränkeversorgung an der Strecke hatte ich vor, auch beim Laufen eine Getränkeflasche dabeizuhaben. Eine kleine, speziell für diesen Zweck entworfene Trinkflasche war das, die farblich ganz hervorragend zu dem Trikot passte, das mir für diesen Lauf gestellt worden war.
Alles war perfekt. Ich hatte ausreichend gegessen und getrunken und freute mich auf den Lauf. In der Nähe des Starts würden wir das Auto abstellen und dann die anderen Mannschaftskollegen suchen. Ich plante, mich erst am Auto komplett umzuziehen, um mit frischen, trockenen Laufsachen auf die Strecke gehen zu können. Hose, Trikot, Schuhe… Moment. Hatte ich die Schuhe eigentlich eingepackt? Die plötzliche Eingebung kam aus dem Nichts und ließ mich zweifeln. Bestimmt! Doch nachschauen würde nicht schaden.
Ich ließ meine Frau an meinem Unbehagen teilhaben und bat sie, rechts am Fahrbahnrand zu halten. Wir waren bereits eine Dreiviertelstunde unterwegs und befanden uns in einem dichtbewachsenen Waldstück auf der Bundesstraße zwischen den Landkreisen. An der Einmündung zu einem Waldweg stoppte sie den Wagen. Ich stieg aus und öffnete den Kofferraum. Keine Schuhe. Tatsächlich. Entgeistert schlug ich die Klappe wieder zu.
„Tatsächlich!“, rief ich in Richtung Fahrersitz.
„Oh nein!“, ertönte es aus dem Fahrzeuginnern.
Ratlos stand ich neben dem Auto und stützte mich auf die offene Beifahrertür. Ich war außer mir vor Wut! Wie konnte so etwas nur passieren? Wie blöd kann man sein?!
Eine Stufe der Trauer ist bekanntlich leugnen. Deswegen war ich fest davon überzeugt, dass mir meine Sinne soeben einen Streich gespielt hatten. Ich ging ans Fahrzeugende zurück und öffnete erneut den Kofferraum. Nichts. Keine Schuhe. Nur meine Tasche, eine Jacke, ein Regenschirm und eine zusammenklappbare Plastikkiste. Aber keine Schuhe. Keine Chance. Auch im Fußraum der Rückbank nicht. Und an die Außenspiegel hatte ich sie aus Versehen auch nicht gehängt. Ich hatte die Schuhe zu Hause vergessen. Glasklar.
Und somit konnte ich auch den Lauf vergessen. Wir waren ja noch nicht einmal am Ziel und der Weg zurück nach Hause plus der erneute Weg nach Uelzen hätten zu viel Zeit in Anspruch genommen, als dass wir es noch pünktlich geschafft hätten. Was für ein Ärger! Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte mich doch so gut vorbereitet. Und am Start wartete eine Mannschaft auf mich, die mit mir laufen wollte. Und jetzt konnte ich nicht laufen, weil ich die Schuhe vergessen hatte. Nicht die Hose. Oder das Trikot. Nein, die Schuhe! Wie ein kleiner Turnbeutelvergesser in der Grundschule, der sich im Sportunterricht dann schmollend auf die Tribüne setzen muss.
Geschmollt, ja das habe ich. Zugeschaut aber nicht mehr. Im nächsten Dorf in der niedersächsischen Provinz haben wir das Auto gewendet, per Telefon bei der wartenden Mannschaft abgesagt und sind dann wieder nach Hause gefahren. Auf der Rückfahrt konnte ich mich nur langsam beruhigen. Meine Stimmung schwankte zwischen Enttäuschung, Wut und Unglaube und die Gespräche zwischen meiner Frau und mir bestanden aus Flüchen, Entschuldigungen, Beschwichtigungen und sarkastischen Scherzen. Schließlich ging die Stimmung in Resignation und Akzeptanz über.
Als wir zu Hause auf den Hof rollten, rechnete ich fast schon damit, dass meine Laufschuhe noch auf der Auffahrt oder zumindest draußen vor der Haustür stehen würden. Doch nichts. Sie standen dummdreist im Flur, wo ich sie zuletzt abgestellt hatte, und sagten nichts.
Ich bin an diesem Abend dann doch noch laufen gewesen. Zwar alleine und nicht im Nachbarlandkreis, aber wenigstens wollte ich das Trikot, dass man mir extra besorgt hatte, nicht ungenutzt wieder in den Schrank legen.
Meine nächste Laufchance in Uelzen bekomme ich erst wieder in einem Jahr. Vielleicht bringe ich meine Schuhe demnächst schon mal dorthin und verstecke sie in der Nähe des Starts im Gebüsch. Dann kann ich sie nächstes Mal auf keinen Fall vergessen.
[…] Euphorie geprägt, dafür von Tollpatschigkeit, und sie lässt sich mühelos in die Kategorie „Laufschuhe vergessen“ […]
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[…] Laufen wirklich Spaß? Viele Außenstehende können die Läuferszene nicht wirklich verstehen und auch ich […]
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[…] ich mich zwar auf den Weg zum Abendlauf nach Uelzen, konnte aber nicht antreten, weil ich meine Laufschuhe zu Hause vergessen […]
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Ein bisschen tröstet es, dass das wirklich jedem passieren kann, ich kann deinen Unmut aber sehr gut verstehen. LG Undine
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