Nach vier Stunden Wartezeit werde ich endlich aufgerufen. Es geht los. Um 8 Uhr war ich pünktlich hier und sollte bald operiert werden. Jetzt ist es fast 12. Muss wohl so sein. Ist bei mir bisher immer so gewesen. Warten. Andere Patienten sehen, die ankommen und kurz darauf in den OP geschoben werden. Frustriert schaue ich zu und hoffe, dass ich der nächste bin. Ärzte, Schwestern, Reinigungspersonal. Ziehen an mir vorüber. Doch niemand will etwas von mir. Gleich, denke ich. Gleich packe ich meine Sachen und fahre wieder nach Hause.
Doch jetzt endlich. Ich soll mich sofort fertigmachen. Abschiedskuss für meine Frau. Jeans und T-Shirt gegen OP-Hemd und Thrombosestrümpfe getauscht. Es bleibt nicht mal mehr Zeit für die Beruhigungstablette. Macht nichts. Aufgeregt bin ich gar nicht so. Das Warten hat mich mürbe gemacht. Ich will, dass es jetzt endlich losgeht. Vielleicht steckt da ja auch Taktik dahinter. Damit die Klinik die Kosten für die Beruhigungstablette spart. Alter Verschwörungstheoretiker.
Ich lege mich ins Krankenbett und werde von zwei Schwestern auf den Flur geschoben. Ein letzter Gruß an meine Frau. Ich habe meine Brille abnehmen müssen, doch erkenne sie trotzdem. Einmal um die Ecke und den Flur entlang, dann sind wir auch schon im OP. „Schlafen Sie schön“, sagen die Schwestern und übergeben mich ihren Kollegen.
Statt Blau tragen die Menschen jetzt Grün. Ich bin im Vorraum zum OP-Saal und muss aus dem Bett raus und auf die Operationsliege rutschen. Während ich festgeschnallt werde, stellt mir die OP-Schwester die wichtigen Fragen. Name? Geburtstag? Was soll operiert werden? Ich antworte gehorsam und deutlich. Wissen die das denn nicht selber? Doch die Fragen dienen nur der Überprüfung. Damit auch der richtige Patient an der richtigen Stelle operiert wird. Nur da untenrum. Die Vorhaut. Nicht die Prostata. Oder ein Bein.
„Und Sie wollen schlafen, ja?“, fragt die OP-Schwester.
„Ja“, antworte ich knapp.
Die Schwester aus der Tagesklinik hatte mich das auch schon gefragt. Muss ich mich etwa dafür rechtfertigen? War ja nicht meine Idee.
Ich werde auf der schmalen OP-Liege fixiert. Meine Arme liegen leicht abgewinkelt auf passenden Schienen. Damit ich nicht runterfalle. Alles gut.
An der Seite geht eine große Schiebetür auf und die Narkoseschwester kommt heraus.
„Es ist der richtige Patient für die richtige OP auf dem Plan“, sagt die OP-Schwester.
Ich werde durch die Schiebetür in den OP-Saal geschoben. Sie haben das Ziel erreicht. Hier ist alles weiß und taghell. Dabei ist die große OP-Lampe über mir noch gar nicht eingeschaltet.
Die Narkoseschwester übernimmt. Ich werde verkabelt. Aufkleber kommen an Brust und Seite. Dann die Kabel zum EKG. Ein Piepen ertönt. Mein Herzschlag. Hört sich normal an.
Der Zugang für die Narkosemittel wird gelegt. Auf dem linken Handrücken. Ein kurzer Pieks, dann steckt die Plastikröhre in meiner Ader. Unangenehm. Kalt.
„War doch nicht schlimm, oder?“
„Na ja“, sage ich. Angesichts der bevorstehenden OP möchte ich mich nicht beschweren. Und der Pieks sollte der „schlimmste“ Schmerz an diesem Tag bleiben.
Die Narkoseschwester wuselt um mich herum und bereitet alles vor. Justiert hier noch etwas, legt dort einen Schlauch entlang, tippt hinter mir auf einem Gerät, stöhnt ratlos, fragt eine Kollegin, stöhnt erneut. Muss ich mir Sorgen machen?
„Wir spülen jetzt den Zugang und dann bekommen Sie eine Infusion.“
Der Beutel wird aufgehängt, der Schlauch an meinen Handrücken angeschlossen, der Hahn aufgedreht.
„So, jetzt kommt das Mittagessen“, sagt die Schwester. „Kalte, klare Brühe ohne Geschmack.“
Den Witz hat sie sicherlich schon tausendmal gemacht, da bin ich mir sicher. Doch ich breche innerlich vor Lachen zusammen. Der beste Spruch des Tages. Ich bin entspannt.
„Alles gut soweit?“, fragt sie.
„Ja, nur kalte Finger.“
„Das ist die Aufregung.“
Na gut.
Der Narkosearzt betritt den Raum und stellt sich vor. Er erläutert mir die Prozedur. Nacheinander soll ich zwei Mittel bekommen, die mich immer schläfriger machen.
Er drückt mir sanft eine Atemmaske auf Mund und Nase.
„Bitte atmen Sie ganz normal ein und aus.“
„Mund, Nase, egal?“
„Egal.“
Ich atme.
„Wir spritzen Ihnen jetzt das erste Mittel. Das macht sie langsam etwas schläfrig.“
Wieder wird etwas an den Zugang angeschlossen. Ist schon gespritzt worden? Wann geht’s denn los? Ich soll doch schläfriger werden. Oh…
Ein wohliges Gefühl breitet sich in meinem Körper aus. Warm, kalt, keine Ahnung. Ich spüre förmlich, wie das Betäubungsmittel durch meine Adern fließt. Das ist doch schon mal ein netter Trip. Unwillkürlich muss ich lächeln. Ich seufze zufrieden. Wie nach einem guten Essen. Brühe ohne Geschmack. Der Hammer. Und jetzt das Dessert.
„So, es geht dann los“, sagt der Arzt. „Schlafen Sie schön.“
Wie nett die hier alle sind. Geben mir Essen und ein Bett. Decken mich zu und wünschen mir eine gute Nacht. Lächelnd schlafe ich ein.
Ziemlich genau 60 Minuten später werde ich wieder wach. Meine Perspektive ist die gleiche. Ich liege in einem Bett auf dem Rücken und starre an die Decke. An der Wand erkenne ich eine Uhr. Eine große Uhr, die ich auch ohne Brille entziffern kann. Deswegen weiß ich, dass nur knapp eine Stunde vergangen ist.
Die Aufwachschwester begrüßt mich. Sie misst meinen Blutdruck und überprüft das EKG. Alles gut. Wir unterhalten uns noch übers Wetter, glaube ich. Der Narkosearzt schaut vorbei und ist ebenfalls zufrieden.
Nach zwei weiteren Stunden werden die Kabel wieder entfernt und die eine Schwester vom Anfang schiebt mich zurück in mein Zimmer. Endlich Brötchen essen. Und Kaffee trinken. Meine Frau lächelt.
Noch zwei Stunden, dann ist auch der Urologe zufrieden. Ich darf wieder nach Hause. Die lächelnde Frau fährt hervorragend.
Bildquelle: Pixabay
[…] Reportagen hatte ich immer gerne geschrieben. Für die Zeitung damals. Dieses Vorgehen half mir jetzt weiter. Auch um etwas Abstand von der Horrordiagnose zu bekommen. Das Erlebte einfach aufsaugen und aufschreiben. Die dritte OP, die vergleichsweise harmloseste von allen, habe ich sogar etwas genossen. Ich wusste irgendwie, dass ich danach erst einmal Ruhe haben werde. Den Moment, als ich im OP-Saal lag und die Betäubung langsam anfing zu wirken, werde ich nie vergessen. Und genau darüber habe ich anschließend auch geschrieben. (siehe: Schlafen Sie schön) […]
LikeLike
[…] Mein Lieblingstext aus dem vierten Jahr ist „Schlafen Sie schön“. […]
LikeLike
[…] sprach dort wenige Tage später vor und wurde dort schließlich ambulant operiert. Über meinen Aufenthalt in der Tagesklinik habe ich ausführlich berichtet. Mit der OP wurde eine Verengung ausgeglichen, die als Ursache für […]
LikeLike