Dichtes Schneegestöber empfing mich vor ein paar Jahren auf dem Weg in eine norddeutsche Großstadt. Ich hatte mich in der dortigen Kreisverwaltung als Pressesprecher beworben und über die Einladung zum Vorstellungsgespräch sehr gefreut. Dass der plötzliche Wintereinbruch an diesem Tag nicht der einzige Zwischenfall bleiben sollte, ahnte ich bei der Anreise zu dem Termin nicht.
Trotz der winterlichen Schneeverhältnisse war ich pünktlich. Ich parkte unweit des Verwaltungsgebäudes, in dem der Termin stattfinden sollte. Bis zum Haupteingang war es nicht weit, doch ich wollte nicht ungeschützt durch die immer noch dichten Flocken laufen, um mein teures Jackett nicht unnötig zu durchnässen. Ich stieg aus und eilte an den Kofferraum, um mich mit einem Regenschirm auszurüsten. In dem Moment, als ich ihn aufspannte, passierte mich eine so heftige Windböe, dass der Schirm schlagartig umklappte und plötzlich wie ein riesiger Toilettenpümpel aussah. Schutz vor dem feuchten Niederschlag war so nicht mehr gegeben und so mühte ich mich zwischen Sturm und Schnee redlich ab, um den Schirm wieder in seine ursprüngliche Form zu bringen. Es brauchte mehrere Versuche, bis mir das gelang, denn immer, wenn ich glaubte, alle Metallstreben wieder nach unten geklappt zu haben, brach irgendwo eine wieder aus und folgte der Richtung des Windes. Meinen wilden Tanz im Schnee kommentierten die vorbeilaufenden Passanten mit verschämt amüsiertem Lächeln.
Doch schließlich hatte ich das widerspenstige Ding gezähmt. Ich hielt es mit beiden Händen fest und richtete es so nach dem Wind aus, dass die Konstruktion mir nicht mehr entgleiten konnte. Trocken war ich nun freilich nicht mehr. Dafür immer noch pünktlich. Wenigstens das hatte geklappt.
Nach dem Betreten des Verwaltungsgebäudes folgte ich den Hinweisschildern zum Vorstellungsgespräch, während ich den tropfenden Schirm auf Abstand hielt. Auf einem finalen Zettel an einer Tür vernahm ich die Botschaft, dass ich hier bitte warten solle, bis ich aufgerufen würde. Ich nahm Platz und wartete. Und trocknete.
Während ich noch trocknete, stürmten plötzlich zwei Sicherheitsbeamte an mir vorbei.
„Haben Sie hier einen Mann gesehen?“, rief mir einer der beiden zu.
Bevor ich antworten konnte, waren sie durch die Tür im Raum neben mir verschwunden. Kurz darauf stürmte ein Herr in einem heruntergekommenen, braunen Mantel aus eben dieser Tür wieder heraus, gefolgt von den beiden Sicherheitsangestellten. Die Verfolgungsjagd konnte ich noch bis ins Foyer beobachten, dann bogen alle Beteiligten um die Ecke und vermutlich raus auf die Straße. Ich hätte gerne gewusst, was da gerade vor sich gegangen war, doch in diesem Moment wurde ich zum Vorstellungsgespräch gerufen.
Ich betrat ein Vorzimmer und wurde durch eine weitere Tür auf der rechten Seite in einen Konferenzraum geleitet. Mir wurde ein Platz an dem einen Ende des Raumes zugewiesen, wo an einer langen Tischreihe ein einzelner Stuhl für mich bereitstand. Am anderen Ende des Raumes befand sich eine ebenso lange Tischreihe, an der allerdings gleich fünf Personen Platz genommen hatten. Neben dem Dienststellen- und dem Abteilungsleiter waren auch Vertreter aus Personalverwaltung, Betriebsrat und Gleichstellung anwesend. Ich blickte in ernste und skeptische Gesichter, auch nach meiner fröhlich in den Raum geworfenen Begrüßung. Ich kam mir vor wie der Kandidat vor der Jury einer Castingshow.
Mir wurde ein Wasser angeboten, das ich höflich entgegennahm. Bei dem Versuch, mit dem Öffner den Kronkorken von der Flasche zu entfernen, brach allerdings auch ein Stück Glas aus dem Flaschenhals heraus. Der Konsum des Getränks erschien mir nun als zu riskant und ich musste um eine neue Flasche bitten. Ein unangenehmer Start in dieses Gespräch, das leider nicht besser werden sollte.
Im Verlauf des Castings wurde ich mit zahlreichen Fragen konfrontiert, die ich einfach nur mit Ja oder Nein beantworten sollte. Dabei ging es nicht nur um fachliche Belange und politische Abläufe sondern auch um den Fußballverein der Stadt und gesellschaftliche Anlässe. Ich versuchte, meine Fröhlichkeit beizubehalten und antwortete, so gut es ging.
Nach 20 Minuten war das Verhör bereits vorbei. Ich verließ den Raum und trat wieder auf den Flur hinaus. Dort wartete bereits der nächste Bewerber, der mir höflich, aber angespannt zunickte.
Ich musste erst mal durchatmen und verschwand auf der Toilette. Vom Wasser hatte ich nur einen kleinen Schluck genommen, doch die Anspannung hat in solchen Fällen einen ebenso großen Anteil am Harndrang. Auf dem Örtchen war ich allein und genoss die Stille. Ich suchte mir ein schönes Kabinchen und richtete mich ein. Als ich mich an meiner Hose zu schaffen machte, entdeckte ich zu meinem Entsetzen: Die ist ja bereits offen! Ich hatte offenbar schon zu Hause vergessen, den Reißverschluss zu schließen, war dann losgefahren und hatte mich ins Vorstellungsgespräch gesetzt. Ich habe mit offener Hose im Vorstellungsgespräch gesessen!
Das Wetter auf dem Nachhauseweg war besser, dennoch begleitete mich eine dunkle Vorahnung. Nach dem Regenschirmtanz im Schnee, dem verlotterten Eindringling vor meiner Nase, der Glasscherbe, die mir kein Glück brachte sowie der offenen Hose habe ich diesen Job dann nicht bekommen. Angesichts der streng behördlichen Gesprächsatmosphäre bin ich darüber jedoch alles andere als traurig.
[…] Jahren erneut in eine norddeutsche Großstadt, so ähnlich wie bei meinem zuvor geschilderten schlimmsten Vorstellungsgespräch. Der Weg führte mich ins Zentrum der Innenstadt. Ich stellte mein Auto in einem Parkhaus ab und […]
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