Bis dass der Pudding euch scheidet (8:00)

Bei vielen Menschen ist die 30 eine magische Zahl. Dabei geht es nicht um den Straßenverkehr, den Kontostand oder den Biervorrat, sondern um ein wichtiges Ereignis im persönlichen Lebenskalender: den 30. Geburtstag. Kurz vorher müssen alle plötzlich heiraten! Überstürzt werden Heiratsanträge gemurmelt, Einladungen verschickt und Blumenmädchen gemietet. Die Frauen pressen sich zur Anprobe in einen weißen Gardinenhaufen nach dem nächsten und Horden besoffener Männer ziehen mit selbst gemalten T-Shirts durch die Fußgängerzone und verkaufen Schnäpse und Travel-Pussys. Und alles nur, um vor der magischen 30 unter die Haube zu schlüpfen und den erniedrigenden Ritualen zu entgehen, die unverheiratete 30-Jährige an ihrem Geburtstag erwarten. Vor dem Rathaus fegen zum Beispiel. Schrecklich. Dann doch lieber beim Junggesellenabschied im Peniskostüm durch die Gegend rennen und sich für fünf Euro pro Wachsstreifen von jungen Mädchen die Beine enthaaren lassen.

Die Heiratswelle gegen Ende der dritten Lebensdekade führt dazu, dass sich die Hochzeitsfeiern innerhalb eines gleichaltrigen Freundeskreises zu einem bestimmten Zeitpunkt häufen. Nicht selten müssen die Betroffenen sechs bis acht Hochzeiten in einem Jahr besuchen. Manchmal zwei an einem Wochenende. Und manchmal, so wie bei mir vor kurzem, zwei an einem Abend.

Der Schock war groß, als die Einladung ins Haus flatterte. „Oh nein!“, dachte ich. „Robert und Annika heiraten am selben Tag wie Josefine und Max.“ Bei Robert und Annika hatten wir bereits vor einigen Wochen fest zugesagt. Eine Absage schien unmöglich. Josefine und Max hatten sich erst vor kurzem verlobt und keinen anderen Termin mehr bekommen. Und da Max einer meiner besten Freunde ist, war eine Absage ebenso ausgeschlossen.

Meine Frau und ich spielten im Kopf bereits alle Möglichkeiten durch, wer wann zu welcher Feier gehen sollte und wie wir uns abwechseln konnten, da fiel mein Blick auf die Adressen der Locations. Die Festsäle der beiden Hochzeiten befanden sich im selben Dorf in unserem Landkreis und waren nur wenige Meter voneinander entfernt. Ein toller Zufall. Problem gelöst.

Am Tag der Hochzeiten besuchten wir nachmittags zuerst die Vermählung von Robert und Annika. Die Zeremonie fand im Garten des Eulenkruges statt, einem uralten Wirtshaus im Wald mit großer Parkanlage. Während der Bräutigam in der Sonne schwitzte, wurde die Braut in einer Kutsche heran gefahren. Nach dem Ja-Wort heulten alle. Es war wunderschön. Den Sektempfang nahmen wir auch noch mit. Wir luden unser Geschenk ab und stopften uns anschließend mit Häppchen voll.

Zum Abendessen wechselten wir zur Hochzeitsfeier von Josefine und Max. Mit einem Sekt to go in der Hand mussten wir nur wenige Minuten gehen, bis wir vor dem Festsaal der Jägerschänke standen, einem ebenso alten Wirtshaus mit schwerem Gebälk unter riesigen Eichen. Wir beglückwünschten das Brautpaar, begrüßten einige uns bekannte Gäste und ließen uns von allen Seiten versichern, dass wir bei der romantischen Trauungszeremonie in der kleinen Kapelle um die Ecke echt etwas verpasst hätten.

Nachdem wir ein Dutzend Mal erklärt hatten, warum wir erst so spät kamen und mir das entschuldigende Lächeln bereits einen Krampf im Gesicht bescherte, durften wir uns endlich setzen und über das Essen hermachen.

Es war mehr als eine Enttäuschung.

Zur Vorspeise hatte ich mich bereits auf eine leckere Hochzeitssuppe gefreut, stattdessen bekam ich einen Teller vorgesetzt, auf dem kleine Häufchen Hirse und Linsenmus platziert waren. Kunstvoll, aber spärlich. Und irgendwo war Kümmel drin, das schmeckte ich genau. Wenn Vegetarier heiraten, oh Mann…

Bei der Hauptspeise besserte sich meine Laune. Hier schienen die Fleischfresser nicht vergessen worden zu sein. Am Büffet schuf ich mir auf meinem Teller eine beeindruckende Plastik aus Rinderfilet und Kroketten, während die vegetarische Variante nebenan, Tofu-Hühnchen mit Zitronensoße, vor sich hin vegetierte.

Ich war besänftigt. Alles hing nun am Nachtisch. Es gab Karamellpudding. Meine Laune war wieder im Keller.

Ich erinnerte mich, nachmittags bei der Hochzeitsfeier von Robert und Annika einen Blick auf deren Menükarte geworfen zu haben. In Leuchtbuchstaben hatte ich jenes magische Wort gelesen, das mich auf jeder Familienfeier sofort alles stehen und liegen lässt: Tiramisu!

Ich flüsterte meiner Frau meinen Plan ins Ohr. Sie strahlte mich mit Tränen in den Augen an. Um keinen Verdacht zu erregen, sollte ich die Lage zunächst sondieren. Ich erhob mich von meinem Platz und strich mir schwerfällig über den Bauch, um den Eindruck zu erwecken, dass ich nach dem üppigen Mahl erst einmal etwas frische Luft und einen kleinen Verdauungsgang benötigte.

Nach wenigen Minuten stand ich wieder im Festsaal des Eulenkruges und mischte mich unter die Gäste am Büffet. Vor mit stand eine riesige Schüssel Tiramisu. Ich simste meiner Frau die frohe Botschaft und keine zwei Minuten später stand sie neben mir, während wir uns die Dessertschüsseln bis zum Rand füllten. Seelig schaufelten wir das Zeug in uns hinein. Zwischendurch blickte Robert in unsere Richtung und winkte uns zu. Er schien vergessen zu haben, dass wir uns vor zwei Stunden eigentlich schon verabschiedet hatten.

Plötzlich stand Iris neben uns und stopfte sich ein paar Datteln im Speckmantel in den Rachen. Iris war die Trauzeugin von Josefine und hatte offenbar davon Wind bekommen, dass das Büffet auf der Hochzeit nebenan viel mehr zu bieten hatte. Und neben Iris tauchte plötzlich ihr Mann Rainer mit einem Glas in der Hand auf. „Die haben hier irischen Whiskey“, strahlte er mir entgegen. In mir regte sich Beunruhigung. Die Hochzeit von Josefine und Max zu versauen, war nicht meine Absicht gewesen. Ich stellte meine leere Dessertschale ab und schnappte mir meine Frau, um wieder zurück in die Jägerschänke zu gehen.

Auf dem Weg nach draußen schlossen sich uns ein paar Gäste von Robert und Annika an. „Wir haben gehört, dass es bei euch Tofu-Hühnchen gibt. Stimmt das?“, fragte einer. Ich nickte nur verstört und schon hatten wir eine ganze Polonaise an den Hacken, die uns bis zum vegetarischen Büffet folgte.

Es schien niemanden zu stören, dass sich plötzlich fremde Gäste über das fleischlose Angebot von Josefine und Max hermachten, am wenigsten das Brautpaar selbst. Sogar Josefine war zwischenzeitlich verschwunden und tauchte eine halbe Stunde später mit einem kleinen Tiramisu-Fleck auf ihrem Brautkleid wieder auf.

Zwischen den beiden Hochzeiten hatte sich nun ein reger Verkehr entwickelt. Das ganze Dorf war erfüllt von angeregten Gesprächen über Tiramisu, Tofu-Hühnchen, Kroketten und Hirsebrei. Musikwünsche wurden ausgetauscht und nicht wenige Hochzeitsgäste trugen sich mit lobenden Worten in beide Gästebücher ein.

Gegen vier Uhr morgens war im Eulenkrug Schluss. Der DJ machte Feierabend und ließ sich nicht zu weiteren Zugaben überreden. Der Rest der Hochzeitsgesellschaft zog kurzerhand in die Jägerschänke um und feierte dort noch bis sechs Uhr weiter. Irgendwann standen beide Brautpaare gemeinsam auf der Tanzfläche und schwangen die Beine zum Sirtaki. Die Stimmung kochte und überall wurden neue Freundschaften geschlossen.

Die Feier war gigantisch und das außergewöhnlichste, das ich bei einer Hochzeit jemals erlebt hatte.

Leider hielten die Ehen nicht lange. Nach vier Wochen trennte sich Josefine von Max und brannte mit Robert durch. Sie hatte offenbar die Schnauze voll von der vegetarischen Lebensweise mit Hirse und Tofu-Hühnchen.

Ein Jahr später heirateten Josefine und Robert, wanderten nach Argentinien aus und kauften sich eine Rinderfarm.

Max hat Annika einmal auf ein Tiramisu eingeladen. Gefunkt hat es dabei zwischen ihnen leider nicht.

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