Auch wenn ich alleine joggen gehe, habe ich viele Gegner. Da ist zum Beispiel die Straße. Klar, ich brauche sie, denn ohne sie könnte ich gar nicht joggen. Doch sie macht mir das Training nicht gerade leicht. Kaum habe ich sie betreten, schreit sie mich an: „Nimm mich! Benutz‘ mich! Schneller! Das kannst du doch besser!“ Davon darf ich mich nicht beeindrucken lassen. Ich muss die Straße nehmen, wie sie kommt, auch wenn sie sich mir mit aller Kraft entgegen stemmt. Mal liegen Steine auf dem Asphalt, mal macht sich eine Pfütze breit. Dann türmt sich vor mir eine Steigung auf, ein Hügel oder eine Brücke. Dann muss ich einfach weiterlaufen bis es vorbei ist. Zähne zusammenbeißen und los.
Früher habe ich mich regelmäßig gequält, um die Straße zu überwinden. Bei Steigungen habe ich gestöhnt, in scharfen Kurven kam ich ins Schleudern und je länger der Lauf dauerte, desto mehr wünschte ich mir, dass er bald vorbei ist.
Heute ist das anders. Heute freue ich mich auf jede Steigung, jeden Bordstein. Über Verkehrsinseln gleite ich elegant hinweg und aus Kurven laufe ich schneller wieder heraus als hinein. Ich nehme die Straße wie sie kommt. Ich benutze sie. Ich lasse sie nicht einfach nur an mir abprallen, ich stoße sie weg, mache sie fertig. „Komm doch her!“, fordere ich sie auf. Dann beschleunige ich. „Du willst eine Straße sein? Du bist höchstens ein Trampelpfad!“ Ich pushe mich hoch. Wut erzeugt Adrenalin. Und Adrenalin ist gut, macht mich schneller.
Schlechtes Wetter ist auch gut für die Wut. Regen ist ein weiterer Gegner, kombiniert mit Kälte und Wind ein schlagkräftiges Team. Regen sollte am besten von vorne kommen. Oder Nieselregen sein, dann ist es egal, aus welcher Richtung er kommt. Wenn es überhaupt nichts bringt, dass ich eine Schirmmütze trage, um meine Brillengläser trocken zu halten, und wenn mich dann auch noch der Wind ausbremsen will, komme ich richtig in Fahrt. Entlang meiner Laufstrecke räumen die Menschen ihre Gartenmöbel ins Haus und nehmen hektisch die Wäsche von der Leine, die Autos kämpfen sich durch das Schmuddelwetter, während die Scheibenwischer ihr Bestes geben, im Buswartehäuschen suchen Radfahrer und Fußgänger mit Hunden Zuflucht – ich folge meiner Route unbeirrt weiter durch den Schmodder.
Irgendwann hat sich der Regen durch die Klamotten gekämpft und vermischt sich mit dem Schweiß auf der Haut. Dann erschlägt mich fast ein Windstoß von vorne und lässt mich erzittern. Gleichzeitig peitscht mir der Regen ins Gesicht. Entschlossen setze ich weiter einen Fuß vor den anderen, blinzele nach vorn, lache das Wetter aus. „Du kriegst mich nicht klein, Wetter!“, denke ich. Mein ganzer Körper ist angespannt, die Muskeln arbeiten, der kalte Wind und der Regen halten mich wach. Ich beschleunige. Je schneller ich laufe, desto eher entgehe ich diesem widerlichen Gegenspieler.
Manche Gegner sehen gar nicht gefährlich aus. Andere Läufer zum Beispiel. Sie kommen mir entgegen, lächeln, grüßen. Ich lächele und grüße zurück. Dabei prüfe ich: Sieht der andere sportlicher aus? Läuft er schneller? Was hat er an? Weniger als ich? Kurze Hose bei sieben Grad Außentemperatur? Nicht schlecht. Aber nur Laufsachen von H&M? Das geht gar nicht. Und der Schwall Weichspülergeruch, der beim Vorbeilaufen herüberwehte? Puhhh!
Andere Läufer lösen immer etwas in mir aus. Meistens fühle ich mich wie ein Teil einer großen Gemeinschaft. „Na, auch wieder auf der Piste? Schön!“, scheinen sie mit ihrem Gruß sagen zu wollen. Es ist so ähnlich wie bei Motorradfahrern. Man ist froh, wenn man in der Einsamkeit der Straße auf Gleichgesinnte stößt.
Fußgänger und Passanten sind auch Gegner, wenn auch nicht so harte. Manche lächeln und grüßen, manche nicht. Manche sind wahrscheinlich ebenfalls Läufer, die momentan nur langsamer unterwegs sind. In ihren Augen erkenne ich manchmal ein wissendes Mitgefühl. Vor allem bei Nieselregen.
Richtig harte Gegner werden Fußgänger allerdings an einem Sonntagnachmittag bei schönem Wetter. Auf beliebten Flanierwegen versammeln sie sich an diesen Tagen in solchen Mengen, dass aus der sonst so geraden Laufstrecke ein gewundener Hindernisparcours wird. Manche dieser lebendigen Hindernisse nehme ich dann versehentlich wie ein Skifahrer beim Slalom und rempele sie an. Zu Boden gegangen ist dabei aber noch niemand. Glaube ich. Ich habe mich dabei noch nie umgedreht.
Natürlich gibt es auch viele ruhige Momente beim Joggen. Wenn das Wetter stimmt, die Klamotten sitzen und die Beine mitmachen, gibt es nichts schöneres, als auf einem einsamen Weg an einem Fluss entlang zu laufen. Und manchmal bekomme ich dabei auch die Gelegenheit auf eine Begegnung der ganz besonderen Art.
Vor kurzem wurde ich von einer Gruppe Rentner auf Fahrrädern überholt. Zuerst hörte ich nur ein leises Klappern und Rascheln hinter mir, vermischt mit rauen Gesprächsfetzen. Ich drehte mich um und erkannte Teile eines Lenkers mit Teilen einer beigen Trekkingjacke hinter mir.
Es dauerte einige Zeit, bis die Gruppe mich erreicht hatte, doch als der Moment kam, war er geradezu magisch. Anmutig schob sich der Trupp an mir vorbei. Es waren sicherlich 12 oder 13 Exemplare, die langsam nacheinander ausscherten, mir im Vorbeifahren bedächtig zunickten und schließlich vor mir zurück in ihre Formation fanden. Graue Dauerwellen wehten im Wind, während weiße Socken in Sandalen ihre Runden auf den Pedalen drehten. Der gesamte Vorgang dauerte mehrere Minuten, denn die Gruppe war höchstes zwei kmh schneller als ich. Währenddessen fiel kein Wort. Die Damen und Herren schienen sich blind zu verstehen. Hin und wieder warf der Leitrentner einen Blick zurück auf sein Rudel Silberfüchse, doch es gab keinen Anlass zur Sorge.
Ich fühlte mich ein bisschen wie Nils Holgersson mit seinen Gänsen. Zwei verschiedene Lebensformen treffen aufeinander und verbringen einen Teil ihres Weges gemeinsam. Eine der Arten ist fremd in diesem Lebensraum, trotzdem kommen beide friedlich miteinander aus.
Nachdem alle radelnden Rentner an mir vorbei gefahren waren, sah ich der Gruppe noch einige Zeit hinterher bis sie hinter einer Kurve verschwunden war. Ich hörte noch den einen oder anderen Gesprächsfetzen, krächzendes Lachen und Räuspern und Husten, dann war der Moment vorbei. Stille. Ich hörte nur noch meine Schritte auf dem Weg.
Frieden und Stille. Keine Gegner, sondern die Belohnung im Ziel.
[…] aber seit diesem Tag unterhalten mein Rücken und ich uns öfter. Meistens im Sitzen. Oder beim Sport. Auch mal im […]
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[…] Früher war ich fast sofort wieder zu Hause. Schlagartig hatte ich Feierabend. Ich musste zum Sport, musste Einkaufen, Essen machen oder mich unterhalten. Jetzt gleite ich sanft in meine Freizeit […]
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[…] soll ja Leute geben, die Klamotten besitzen, die sie sich extra und nur für den Weg zum Sport anziehen. Zuhause schlüpfen sie in den Jogginganzug, schnappen sich die Sporttasche und fahren in […]
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