Haben sie auch Tabletten gegen Doofheit? (4:30)

Die Emanzipation ist eine bemerkenswerte Errungenschaft der Moderne. Jahrhundertelang haben Frauen gekämpft, um wählen, Autofahren und auf dem Bau arbeiten zu dürfen. Und schließlich hat’s geklappt. Gut, bei der Bezahlung klafft zwischen Frauen und Männern immer noch eine Lücke. Aber das ist nur gerecht. Schließlich gibt’s auch auf der Männerseite genug Situationen, in denen sie benachteiligt und diskriminiert werden. Zum Beispiel in der Apotheke.

Für Frauen ist es kein Problem, in der Apotheke Salben oder Tabletten zu bekommen. Kaum bestellt, werden die Medikamente über den Tresen geschoben. Die einzige Frage, die offen bleibt, ist höchstens: „Möchten sie eine Tüte?“

Bei Männern läuft das anders ab. Vor kurzem erhielt ich während der Arbeit von meiner Frau per SMS den Auftrag: „Kannst du mir auf dem Heimweg bitte meine Kopfschmerztabletten mitbringen?“

Ich stöhnte innerlich kurz auf. Und machte sofort Feierabend. Zwei Stunden früher als sonst.

In der Apotheke steuerte ich zielsicher den Tresen an. Ich kannte die Kopfschmerztablettenmarke meiner Frau genau. Auch in der Apotheke war ich nicht zum ersten Mal und die Dame hinter der Kasse war mir keine Unbekannte. Deswegen wusste ich genau, was mich erwartete.

„Guten Tag, was kann ich für sie tun?“

„Hallo, ich hätte gerne eine Packung Dolorcetamolpyrin gegen Migräne.“

Die Apothekerin drehte sich um, zog eine drei Meter lange Schublade aus der Wand und kehrte mit dem bestellten Medikament zu mir zurück.

„Davon dürfen sie höchstens drei Stück am Tag nehmen“, sagte sie.

„Ich weiß“, antwortete ich. „Die sind für meine Frau. Die nimmt die öfter. Die Einnahme ist bekannt.“

„Und viel trinken müssen sie dabei.“

„Ja, ich weiß, wie gesagt, die sind für meine Frau…“

„Haben sie denn regelmäßig Kopfschmerzen? Dann sollten sie vielleicht mal zum Arzt gehen. Oder nehmen sie noch andere Medikamente?“

„Ich? Also, meine Frau…“

„Ach, am besten kommen sie mal mit!“

Die Apothekerin zog die Tablettenschachtel wieder zurück, kam um den Tresen herum zu mir nach vorne, schnappte sich meinen Arm und zog mich hinter sich her in den hinteren Teil des Ladens. Nach ein paar Metern durchschritten wir eine Tür mit der Aufschrift „Privat“. Dahinter kam mir ein Mann entgegen. Er schüttelte nachdenklich den Kopf, blickte mich an und flüsterte: „Das habe ich alles nicht gewusst…“

Ich wurde in einen Raum geführt, in dem bereits mehrere andere Männer vor einem ausgeschalteten Fernseher saßen. Sie alle blickten ängstlich in meine Richtung, als ich eintrat. Die Dame drückte mich auf einen Stuhl und sagte: „Es geht gleich los.“

„Aber ich wollte doch nur Tabletten kaufen!“, rief ich ihr hinterher, doch sie war schon wieder weg.

Wenig später wurden das Licht in dem Raum aus- und der Fernseher eingeschaltet. Alles geschah scheinbar ferngesteuert. Eine Person, die das tat, sah ich nicht. Auf dem Bildschirm erschien eine kleine Comicfigur mit großen Augen, weißem Arztkittel und einem Stethoskop um den Hals.

„Hallo liebe Kinder! Mein Name ist Michi Medikus und ich erkläre euch heute den menschlichen Körper.“

Der kleine Kerl sprang von links nach rechts durchs Bild, schlug ein Rad und kletterte schließlich an dem Modell eines Menschen hoch. Es war durchsichtig, sodass die Organe zu erkennen waren.

„Das hier ist euer Magen“, sagte Michi. „Hier kommt alles rein, was ihr esst. Und essen ist wichtig. Wenn ihr zu wenig esst oder trinkt, geht es euch nach ein paar Tagen richtig schlecht.“

„Was soll denn das?“, murmelte ich genervt. Ich erhob mich, um den Raum zu verlassen. Der Film stoppte, eine Alarmsirene ertönte und ein Scheinwerfer wurde auf mich gerichtet.

„Bitte bleiben sie sitzen!“, tönte eine strenge Stimme aus einem Lautsprecher an der Zimmerdecke. „Sie müssen sich den Film bis zum Ende anschauen. Vorher wird die Tür nicht geöffnet.“

Ich eilte zur Tür und drückte die Klinke. Verschlossen.

Ich fügte mich meinem Schicksal und nahm wieder Platz.

Der Film lief weiter. „Das hier sind eure Füße“, fuhr Michi fort. „Da müssen vorne ab und zu die Nägel abgeschnitten werden, denn sonst wachsen sie immer weiter und ihr bekommt Löcher in den Socken. Doch keine Angst, Nägel schneiden tut nicht weh!“

Nach einer Dreiviertelstunde war der Film vorbei und das Licht wurde wieder eingeschaltet. Wir durften wieder aufstehen und nach vorne in den Verkaufsraum der Apotheke gehen. Am Ausgang bekam ich eine Tüte in die Hand gedrückt. Darin fand ich ein Was-ist-Was-Buch über die Verdauung, ein Dr.-Bibber-Spiel für Anfänger sowie ein Gestell, an dem man Schuhe zubinden üben konnte. Und natürlich die Kopfschmerztabletten für meine Frau.

„Maximal drei Stück pro Tag“, wiederholte die Apothekerin mit Nachdruck.

Ich nickte erschöpft, nahm die Tüte und verließ das Gebäude.

Die Dame rief mir hinterher: „Und immer schön nach links und rechts gucken, wenn sie über die Straße gehen!“

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