„Never trust the first mile“ – Eine alte Läuferweisheit, die besagt, dass man der ersten Meile eines Laufs nicht trauen sollte. Oder dem ersten Kilometer. Wenn es zu Beginn eines Laufs nicht gut läuft, die Beine schwer sind und ich nach 300 Metern am liebsten wieder anhalten möchte, muss ich einfach Geduld haben und noch ein bisschen durchhalten. Nach einem oder zwei Kilometern ist der Körper warm und die Beine sind erwacht. Und dann wird der Rest des Laufs doch noch ein Traum.
Anders herum ist aber auch Vorsicht geboten. Es gibt diese Tage, da fange ich an zu laufen und könnte Bäume ausreißen. Vom ersten Schritt an läuft es wie geschmiert und ich gebe sofort Gas. Doch schon nach kurzer Zeit kommen der Hammer und die Ernüchterung. Plötzlich scheint es, als hätte jemand auf einen imaginären Aus-Schalter gedrückt. Ich muss einen Gang runterschalten und brauche einige Zeit, bis sich ein einigermaßen gutes Gefühl einstellt.
Die eigene Verfassung beim Laufen zu deuten, erfordert viel Erfahrung. Vorsicht ist geboten, sowohl bei einem guten, als auch einem schlechten Gefühl. Bei einem schlechten Gefühl zu Beginn eines Laufs hilft das Wissen, dass es nach ein paar Minuten wieder besser wird. Bei einem außergewöhnlich guten Gefühl mahnt die Erfahrung der vergangenen Jahre zur Vorsicht, lieber zurückhaltend zu starten, damit die geplanten 5, 10 oder 15 Kilometer nicht zur Qual werden.
Heute bin ich mit einem durchwachsenen Gefühl gestartet. Das Wetter ist gut. Sehr sonnig, aber auch sehr windig. Zu Beginn muss ich durch mein Wohngebiet. Schmale Straßen, enge Kurven, Bordsteine. Nach eineinhalb Kilometern verlasse ich die Ortschaft Richtung freies Feld und schlagartig habe ich meinen Rhythmus gefunden.
Die nächste Ortschaft lasse ich nach vier Kilometern hinter mir. Es geht eine Landstraße entlang auf einem gut ausgebauten Fahrradweg durch den Wald. Die Sonne blinzelt durch die Bäume. Zwei Biker knattern auf ihren Maschinen vorbei und grüßen. Ich grüße zurück.
Nach sieben Kilometern biege ich links in den Wald ein. Ich laufe durch die Stille auf einem sandigen, aber breiten Weg. Schlaglöcher und abgebrochene Äste auf dem Boden erfordern meine Aufmerksamkeit. Bei Kilometer zehn verlasse ich den Wald und biege wieder auf eine Landstraße ab. Jetzt geht es schnurgeradeaus an der Straße entlang.
Bei Kilometer 14 erreiche ich wieder das Stadtgebiet. Beinen und Kopf geht es gut und ich fange an zu rechnen. Ich kenne die Umgebung in- und auswendig und plane meine nächsten Kilometer. Ich biege ab in den nächsten Wald. Neben Wurzeln und Schlaglöchern muss ich jetzt auf Sonntagsspaziergänger achten. Ein regelrechter Slalom.
Nach 17 Kilometern entscheide ich mich erneut für die längere Variante. Ich bewältige eine Steigung und laufe nun wieder an der Straße. Einen Energieschub bekomme ich durch meine Verpflegung. Energiegel und Wasser. Ich horche in meinen Körper hinein. Tempo und Rhythmus sind immer noch gut. Keine Schmerzen, keine Schwere. Ich halte mein Gesicht in die Sonne und entdecke dann die ersten Osterglocken auf dem Grünstreifen an der Straße. Ich fühle mich gut.
Unweigerlich muss ich lächeln. Ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit durchströmt mich. Plötzlich habe ich Gänsehaut am ganzen Körper und mich durchfährt ein heftiges Kribbeln. Ich habe wieder das Gefühl, als könnte ich Bäume ausreißen. Jetzt sofort, obwohl ich schon 18 Kilometer in den Beinen habe. Ist dies das berühmte Runner’s High, das Hochgefühl beim Laufen, von dem alle immer reden? Ach komm, dann drehe ich noch eine Extrarunde.
An die erste Extrarunde hänge ich spontan noch eine zweite, kleinere an. Am Ende bin ich 23 Kilometer gelaufen. So viel, wie noch nie zuvor in einem Lauf.
Glückwunsch, Stefan! Ich kenne das Gefühl so gut. Weiter so ;-)
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Danke! So macht Laufen auch echt Spaß! 😃
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