Heute vor genau zehn Jahren, am 25. Januar 2011, schwappte der Arabische Frühling, die Revolutionsbewegung in Nordafrika, auch nach Ägypten über. Zentrum der Proteste in Kairo war der Tahrir-Platz direkt neben dem Ägyptischen Museum. Proteste und Regierungskrise hielten bis in den Sommer 2014 an. Im November 2014 befand ich mich auf einer Urlaubsreise in Ägypten und begab mich spontan auf einen 20-stündigen Tagesausflug nach Kairo, dem ersten, der ausländischen Touristen nach den Unruhen angeboten wurde, wie uns erzählt wurde. Im Anschluss entstand dieser Reisebericht, der unvollständig blieb und bislang nicht veröffentlicht wurde:
Zwischen Terror und Tourismus – Ein Tagesausflug nach Kairo
Es ist halb drei Uhr morgens kurz vor der Stadtgrenze von Hurghada an der Ostküste Ägyptens. Auf einem staubigen Parkplatz in der Dunkelheit versammeln sich nach und nach immer mehr größere und kleinere Reisebusse mit hunderten Touristen darin. Jedes Gefährt hat zum Schutz vor Überfällen einen bewaffneten Polizisten in Zivil an Bord. Um kurz vor drei Uhr erfolgt ein stummer Befehl und das gute Dutzend Busse reiht sich auf der Straße nacheinander auf. An der Spitze und am Ende des Konvois gehen Polizeiwagen in Stellung. Kurz darauf setzt sich der Tross in Bewegung. Mit eingeschaltetem Blaulicht führt die Polizei die Touristen-Karawane durch ein Tor. Dahinter befindet sich nur die Wüste und die Nacht. Es sind noch gut 450 Kilometer bis ins Stadtzentrum von Kairo.
Ägypten versucht, neben den immer wieder hochkochenden Protesten gegen die Regierung den Tourismus aufrecht zu erhalten. Vor allem die Ausschreitungen in der Hauptstadt Kairo 2011 und 2013 mit vielen Toten schrecken viele Menschen bis heute ab, die weltberühmten Hinterlassenschaften der Pharaonen zu besuchen. Die wacklige Sicherheitslage ist auch der Grund für die hohe Polizeipräsenz im Land. Touristen können sich zwar überall frei bewegen, werden von den Sicherheitskräften aber stets misstrauisch beäugt.
Der Weg von Hurghada nach Kairo ist unspektakulär. Die Straße führt meist nur durch die Wüste. Freie Fahrt mit dem rechten Fuß auf dem Gaspedal ist trotz der einsamen Landschaft nicht gewährleistet. Immer wieder werden die Reisebusse an Check-Points kontrolliert. Damit sie dort nicht einfach vorbeirasen, werden sie durch Hindernisse aus Ölfässern oder Asphalthügeln zum Anhalten gezwungen. Polizisten in schusssicheren Westen haben ein wachsames Auge auf jedes Fahrzeug. Aus den kleinen Fenstern der Wachtürme ragen Gewehrläufe.
Wer Kairo von Osten her erreicht, fährt auf dem Weg ins Stadtzentrum durch die riesige „Stadt der Toten“. Der Friedhofsbezirk mit seinen häuserähnlichen Grabanlagen lag vor einigen Jahren noch vor den Toren der Metropole. Heute hat sich die riesige Stadt mit seinen geschätzt rund 22 Millionen Einwohnern die gigantische Anlage einverleibt und der ständige Mangel an Wohnraum hat dazu geführt, dass sich viele Menschen in den Grabstätten häuslich eingerichtet haben.
Auch in der ägyptischen Hauptstadt wimmelt es von Sicherheitskräften. Die Polizei wird an einigen Stellen vom Militär unterstützt. Die Soldaten kontrollieren stichprobenartig den Kofferraum von Fahrzeugen, die eine Tankstelle ansteuern. Fotografieren sollte man so eine Szene nicht. Es kann passieren, dass das Militär die Kamera solange beschlagnahmt, bis die entsprechenden Fotos gelöscht wurden (→ ist dem Autor tatsächlich so passiert, Anm. d. A.).
Abseits der angespannten Sicherheitskräfte ist Kairo eine bemerkenswerte Stadt. Auf den Straßen fahren Autos neben Eselgespannen. Tausende alter VW-Busse dienen als Taxis, ebenso wie die „Tuk-Tuks“, die auch aus Indien bekannten Motorrad-Rikschas. In der Luft hängt eine Mischung aus Abgasen und Wüstensand, was der Stadt einen grau-braunen Überzug beschert. Überall wird jedoch deutlich, dass Kairo mit dem rasanten Wachstum der vergangenen Jahre überfordert ist. Die historischen Sehenswürdigkeiten werden erdrückt von riesigen Wohntürmen, die in aller Schnelle errichtet wurden. Funktionalität geht vor Ästhetik. Schöne Fassaden sind eine Seltenheit. An den Straßenrändern und den Ufern der Kanäle sammelt sich Müll. Das lockt streunende Hunde und Katzen an. Zwischen den Abfällen liegen Tierkadaver.
Genauso chaotisch wie die Stadt ist auch das Ägyptische Museum am Tahrir-Platz im Herzen der Stadt. Der Platz wird von Polizisten in gepanzerten Fahrzeugen bewacht, denn er ist das Zentrum der Regierungsproteste gewesen. Das Museum kann nach einer Kontrolle aber ungehindert betreten werden. Es ist vollgestopft mit tausenden Überresten der Pharaonenherrschaft. Auf jeden freien Fleck wurden Statuen, Sarkophage und Schrifttafeln gestellt. Jeder wichtige Herrscher ist vorhanden und beschriftet, doch nach einer thematischen Ordnung sucht man vergebens. Nur die Abteilung mit den Grabbeigaben des berühmten Pharaos Tutanchamun macht einen aufgeräumten Eindruck. Auch die Sammlung mit den Mumien der Könige ist sehenswert, kann jedoch nur gegen Aufpreis besichtigt werden.
Eine Fahrt nach Kairo ist nichts ohne den Besuch der Pyramiden von Gizeh. Obwohl sich die Metropole bis auf wenige hundert Meter an die Monumente herangefressen hat, ist an den Pyramiden eine historische Atmosphäre bewahrt worden. Durch den Staub erheben sich die spitzen Grabhügel aus der Wüste. Aus der Nähe betrachtet wird die einzigartige Leistung der Erbauer deutlich, die vor gut 4500 Jahren tausende rechteckiger Blöcke mit einfachsten Mitteln zu diesen perfekten geometrischen Formen aufgetürmt haben.
Der Andrang an den uralten Bauwerken hält sich in Grenzen. Auf dem Parkplatz stehen nur wenige Reisebusse und die Souvenirverkäufer stürzen sich sofort auf die überschaubare Menge an Touristen, blitzen mit ihrer aufdringlichen Art aber fast überall ab.
Wer eine der Pyramiden betreten möchte, muss nicht viel Geld ausgeben. Das Innere der 138 Meter hohen Cheops-Pyramide kann gegen ein relativ hohes Eintrittsgeld besichtigt werden, hat aber außer einer leeren Grabkammer ohne Schmuck und Wanddekoration nichts zu bieten, wie uns versichert wurde. Den gleichen Eindruck vermittelt eine der kleineren Pyramiden auf dem Ostfriedhof daneben, die gegen ein kleines Trinkgeld betreten werden kann.
Die 74 Meter lange Sphinx, die ursprünglich als Bewacherin der großen Pyramiden errichtet wurde, kann größtenteils nur von der Seite betrachtet werden. Auch hier kommen sich die Touristen nicht in die Quere und können ungehindert Fotos machen…
(→ An dieser Stelle enden meine Aufzeichnungen. Nach dem Besuch der Pyramiden und der Sphinx folgten ein Mittagessen in einem Restaurant in Kairo und der Besuch eines Parfüm-Händlers. Am späten Nachmittag ging es dann die 450 Kilometer zurück nach Hurghada. Ins Hotel kehrten wir am späten Abend zurück und waren froh, noch etwas zu Essen zu bekommen. Im Rückblick der Ereignisse habe ich bis heute das Gefühl, die ägyptische Hauptstadt Kairo zu einem ganz besonderen Zeitpunkt erlebt zu haben.)