Just do IT (8:30)

Tränenüberströmt fielen sich meine Kollegin und ich in die Arme. Grenzenlose Erleichterung und pure Freude bahnten sich ihren Weg. Wie kleine Kinder vor dem Weihnachtsbaum hüpften wir ausgelassen durchs Büro. Wir konnten es kaum fassen, schauten ungläubig abwechselnd uns selbst und dann wieder den Computerbildschirm an. Doch es bestand kein Zweifel. Dort in der E-Mail stand es Schwarz auf Weiß: Die IT-Abteilung hatte tatsächlich unsere Anfrage bearbeitet! Nach nur zehn Monaten! Unsere Gebete waren erhört worden! Ein ergreifender Moment.

Zehn Monate zuvor, der Frühling des vergangenen Jahres stand gerade in voller Blüte, da hatte meine Kollegin mit einer mehr beiläufigen als gezielten Bemerkung in meine Richtung eine langwierige Hängepartie mit dem Technik-Olymp ausgelöst.

„Ach, ähm… kannst du mir mal eben schnell die Bilder rüberschieben, die du für die Landing-Page vorbereitet hast?“

Nachdem sie das zu mir gesagt hatte, ahnten wir nicht, wie lange dieses „eben schnell“ in Wirklichkeit dauern sollte.

Ich reichte ihr einen USB-Stick, auf dem die angesprochenen Bilder gespeichert waren und sah die Sache damit als erledigt an. Wie naiv ich damals der komplexen Welt der digitalen Datenverarbeitung gegenüberstand, ist aus heutiger Sicht unfassbar! Mit dem USB-Stick kam meine Kollegin natürlich nicht weiter, da sich sein Inhalt nicht von der deutschen Desktopumgebung auf die Serverumgebung im Ausland, auf der wir per Remote-Zugriff arbeiteten, übertragen ließ (das ist sehr technisch, ich entschuldige mich dafür. Bei Informationsbedarf fragen Sie bitte Ihre IT-Abteilung).

„Na gut“, sagte ich, „dann erstelle ich dir auf dem M-Laufwerk des Servers einen Ordner und lege die Fotos dort ab.“

Wie blauäugig von mir! Um einen Ordner auf dem M-Laufwerk, dem speziellen Laufwerk für die Marketingabteilung, erstellen zu können, fehlten mir natürlich die Rechte!

Ich musste also Kontakt mit der IT-Abteilung aufnehmen. Der vorgeschriebene Weg war auch hier der elektronische. Mal eben bei den Kollegen vorbeizugehen war unmöglich, denn die IT-Experten saßen in der Hauptzentrale ca. 850 Kilometer entfernt. Ich verfasste eine E-Mail mit der Bitte, dass man mir doch bitte umgehend die Rechte zum Erstellen von Ordnern auf dem M-Laufwerk geben möge. Drei kurze Sätze, freundliche Grüße und Tschüss. Die Kollegen sollten schließlich nicht mit zu viel Smalltalk von ihren Binärcodes abgelenkt werden.

Nach dem Versenden der E-Mail rechnete ich damit, dass die Bearbeitung ein paar Stunden dauern würde, schließlich war ich bestimmt nicht der einzige Kollege mit einem technischen Anliegen. Ich widmete mich also anderen Aufgaben und hatte die Sache schnell vergessen.

Ein paar Tage später labte ich mich gerade am Angebot der Kaffeemaschine in der Büro-Küche, als meine Kollegin eintrat und mich auf den Zugang zum M-Laufwerk ansprach. Stimmt, hatte ich ganz vergessen, würde ich gleich mal prüfen, bis jetzt noch nichts gehört, ach, es eilt nicht, naja, ich frage trotzdem mal nach.

Ich setzte erneut eine E-Mail auf, in der ich freundlichst darum bat, man möge sich doch an meine E-Mail von vor ein paar Tagen erinnern und sich meinem Anliegen bezüglich des Zugangs zum M-Laufwerk nach Möglichkeit in naher Zukunft widmen.

Wieder passierte tagelang nichts.

Die nächste E-Mail gestaltete ich etwas ausführlicher, fügte ihr diverse Screenshots, Powerpoint-Präsentationen und PDF-Dateien des betreffenden Projektes bei und erwähnte alle möglichen Kollegen, die auch nur im entferntesten mit der Sache zu tun hatten. Außenstehende hätten denken müssen, dass es sich dabei um ein Projekt von immenser Wichtigkeit handelte, bei dem jeder Tag Stillstand zu millionenschweren Defiziten in der Jahresbilanz führen konnten.

Meine IT-Kollegen allerdings nicht.

Mail um Mail feuerte ich in Richtung Technikzentrale. Der Kreativität meiner Anschreiben waren keine Grenzen gesetzt. Ich bediente mich nicht nur des kompletten Alphabets inklusive aller Umlaute und des großgeschriebenen „ß“, ich hatte nach mehreren Monaten auch die gesamte Bandbreite an Smileys, Emojis und GIFs in den Texten verarbeitet. Bei meinen Recherchen, die hauptsächlich aus dem Konsum von „The Big Bang Theory“ bestanden, hatte ich erkannt, das Nerds offenbar darauf standen.

Es tat sich weiterhin nichts. Der Sommer zog ins Land und während sich die Kollegen nach Feierabend am Firmengrill im Firmengarten auf ein Bierchen trafen, feilte ich an den nächsten E-Mails an die IT-Abteilung in der Zentrale. Mal streute ich mein Wissen über Star-Trek ein, dann wieder versuchte ich es mit einem Gespräch über die neuesten Superhelden-T-Shirts.

Es brachte alles nichts. Meine Kollegin und ich verzweifelten und haderten und fragten uns, warum wir nicht erhört wurden. Als der Herbst anbrach, richteten wir in einer Ecke im Büro einen kleinen Schrein ein, auf dem wir unter einem leuchtenden @-Zeichen eine Kürbislaterne anzündeten und jeden Tag Schokoriegel und Instant-Nudelsuppen opferten. Ende November setzten wir uns ein ganzes Wochenende zusammen und bastelten einen liebevoll gestalteten Adventskalender, den wir anschließend per Post in die Firmenzentrale „zu Händen der lieben IT-Kollegen“ schickten.

Der Dezember begann kalt und grau. Einsam und verlassen saß ich in meinem Büro und verspürte kaum noch einen Funken Hoffnung. Die besinnliche Vorweihnachtszeit wurde bei mir von einer untröstlichen Traurigkeit aufgrund der unzähligen unerhörten Gebete überschattet. Der Glühwein schmeckte nicht, auch Lebkuchen konnte ich nicht anrühren und die fröhlichen Gesichter in den TV-Werbespots widerten mich an. Hatte das Leben überhaupt noch einen Sinn?

Dann plötzlich, kurz vor Weihnachten, erhielt ich eine E-Mail mit dem Absender „IT-Service“. Aufgeregt ließ ich alles stehen und liegen und öffnete die Nachricht.

„Hi“, stand da geschrieben. „Für welchen Ordner auf dem M-Laufwerk benötigst du den Zugang?“

Kurz und knapp, aber egal. Endlich eine Nachricht. Eine Antwort von ganz oben. Wir sind doch nicht allein, wir wurden erhört!

Ich überlegte kurz und antwortete schließlich ebenso knapp. Anschließend teilte ich meiner Kollegin die frohe Botschaft mit und wir entzündeten eine neue Kerze auf dem Schrein.

Jetzt sollte die Bearbeitung sicherlich bald erledigt sein. Kurze Frage, kurze Antwort, ein, zwei Klicks in der Zentrale, hier ein Häkchen setzen, dort einen Code eingeben und fertig.

Aber nix. Wieder hörten wir tagelang nichts. Weihnachten und der Jahreswechsel zogen vorbei, doch sorgten nicht für die gewohnte, nachhaltige Freude. Anfang Januar blickte ich an meinem Schreibtisch in ein leeres E-Mail-Postfach. Unser Draht zur IT-Zentrale schien wieder gekappt worden zu sein.

Während sich draußen vor dem Bürofenster der Winter austobte, widmete ich mich drinnen lustlos meinen Aufgaben. Die Routine hielt mich über Wasser. Der Arbeitsalltag ließ den Kummer schnell vergessen. Meiner Kollegin ging es nicht besser. Neue Projekte forderten auch ihre Aufmerksamkeit. Der IT-Schrein wurde nicht mehr gepflegt und verstaubte langsam. Jetzt war es auch egal.

Doch dann, ganz plötzlich und unerwartet, als wir schon nicht mehr damit gerechnet hatten und uns unser Selbstbewusstsein von ganz allein wieder mühsam zurückerarbeitet hatten, tat sich am Himmel eine Lücke auf und herunter kam eine frische E-Mail mit dem Absender „IT-Service“.

„Einmal neu starten, dann müsste es gehen.“

Welch frohe Kunde! Ich startete neu und es ging.

Vor Glück wurde mir schwarz vor Augen. Dann fasste ich mich wieder und rief meine Kollegin zu mir. Was folgte war der eingangs beschriebene, minutenlange, ausgelassene Jubel. Es ging! Ich hatte endlich Zugang zum M-Laufwerk! Im Beisein meiner Kollegin schob ich die angeforderten Bilder in einen eigenhändig von mir erstellten Ordner. Ein unglaubliches Gefühl!

Zur Feier des Tages wollte ich früher Feierabend machen. Zehn Monate hatte ich auf diesen Moment gewartet und jetzt war es endlich soweit. Das musste doch gefeiert werden! Hatten wir nicht noch irgendwo Sekt von der Weihnachtsfeier? Und den verschmähten Glühwein wollte ich jetzt auch unbedingt nachholen.

Zehn Monate! Warum um alles in der Welt hatte das so lange gedauert? Wie schwer kann die Arbeit in der IT-Abteilung schon sein? Was machen die denn da den ganzen Tag?!

Ich wollte gerade meinen Rechner runterfahren, da ploppte in meinem Posteingang eine E-Mail vom Chef auf.

„Sagen Sie mal“, las ich, „wo bleibt denn eigentlich der Text über die IT-Abteilung, den wir auf unsere Teamseite im Internet packen wollten? Den habe ich doch bestimmt schon vor zehn Monaten bei Ihnen angefordert. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?!“

Ups.

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