„Aber doch nicht so!“

Klein gegen groß – so läuft das meistens bei politischen Protesten und Demonstrationen. Kleine Schüler demonstrieren gegen große Politiker. Kleine Menschenrechtsaktivisten versuchen, sich gegen große Regierungen durchzusetzen. Kleine Landwirte fahren mit ihren Treckern durch große Städte und legen den Verkehr lahm. Proteste sind wichtig und richtig, keine Frage. Dass wir in Deutschland und vielen Teilen Europas das Recht haben, auf diese Weise unsere Meinung zu äußern, sollten wir zu schätzen wissen. Das sieht mancherorts nämlich ganz anders aus. Und trotzdem schalten sich in die öffentliche Diskussion immer wieder kritische Stimmen ein, die sich bei einem Protest oder einer Aktion auf den Schlips getreten fühlen.

Greta Thunberg und „Fridays for Future“

Bestes Beispiel ist Greta Thunberg, die mit ihrem „Schulstreik für das Klima“ die weltweite Klimabewegung „Fridays for Future“ ausgelöst hat. Wann immer Schüler nun freitags ein paar Schulstunden sausen lassen und sich für eine spürbar bessere Klimapolitik stark machen, schwappt eine Welle der Entrüstung durch die Gesellschaft. „Proteste schön und gut. ABER DOCH NICHT SO! Die sollen erstmal was anständiges Lernen und das den Erwachsenen überlassen. Und überhaupt: Muss das denn freitags?! Die könnten doch auch samstags… oder in den Ferien..!“ Ungefähr so. Alles schon gehört.

Ich sehe das so: Ja, es muss freitags. Donnerstags ginge natürlich auch, aber „Thursdays for future“ kann ja wieder keiner aussprechen. Samstags oder in den Ferien wäre doof, denn das erregte nicht so viel Aufsehen. Denn darum geht es schließlich: Aufmerksamkeit erregen, zur Not auch auf die harte Tour. Und Proteste in Verbindung mit Schule schwänzen tun schon irgendwie weh. Zumindest den Erwachsenen, wie es scheint.

Natürlich könnte Greta Thunberg auch einfach die Füße stillhalten und brav ihre Schule zu Ende machen. Sie würde jahrelang lernen und Hausaufgaben machen und Klausuren schreiben. Später dann studieren, oft in Hörsälen rumgammeln und noch mehr Klausuren schreiben. Und dann ihren Doktor machen. Irgendwas Naturwissenschaftliches. Wieder viel lernen, in Bibliotheken rumgammeln, Bücher kopieren, forschen, schreiben, viel schreiben, verteidigen. Und irgendwann in ca. 20 Jahren hätte sie dann ihren Doktortitel in der Tasche und wäre in den Augen der aufbegehrenden Sofakissenwarmhalter endlich befugt, sich zu den wirklich großen Themen der Menschheit zu äußern. Dann dürfte sie Bücher veröffentlichen und Vorträge halten und im Fernsehen auftreten. Aber bitte nicht freitags. So, UND NUR SO dürften Greta und ihre Anhänger die öffentliche Diskussion beeinflussen, so scheint es. Dass wir in 20 Jahren wahrscheinlich alle unter der Erde wohnen, weil uns die Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 500 zu teuer ist, scheint jetzt noch niemanden zu interessieren.

Carola Rackete und die Flüchtlinge

Auch Carola Rackete hat sich in der öffentlichen Diskussion nicht nur Freunde gemacht. Sie wissen schon: Die junge Kapitänin, die zahlreichen Flüchtlingen im Mittelmeer das Leben gerettet hat und zur Belohnung verhaftet wurde, nachdem sie ohne Erlaubnis in einen italienischen Hafen eingelaufen ist. „Ja… ähh… Menschen vor dem Ertrinken retten schön und gut. ABER DOCH NICHT SO! Gesetz ist nun mal Gesetz! Und wenn der Herr Minister in Italien sagt, dass du mit deinen Flüchtlingen gefälligst auf dem Meer verrecken sollst, dann machst du das bitte auch!“ So ungefähr.

Ich sehe das so: Gesetz ist Gesetz – ist ja richtig. Mord, Kindesmisshandlung, Terroranschläge – gehört zu Recht alles verboten. Wenn das Gesetz eines Landes aber Menschenrechte verletzt und in völligem Gegensatz zu den moralischen Werten steht, nach denen ein Großteil der Nationengemeinschaft lebt, dann muss es doch denkbar sein, dieses Gesetz infrage zu stellen. Inhaftierung von Journalisten zum Beispiel. Oder die totale Überwachung der Bevölkerung durch den Staat. Todesstrafe auch. Das lässt sich natürlich nicht auf alles anwenden, aber in diesem speziellen Fall bei Carola Rackete schon. Und der Lauf der Geschichte hat ihr Recht gegeben: Sie wurde erst freigelassen, später freigesprochen. Und der hysterische Minister ist mittlerweile in der Versenkung verschwunden.

Natürlich hätte Rackete sich an die Vorschriften halten können. Hätte wochenlang auf dem Mittelmeer herumdümpeln können in der Hoffnung, irgendwann einmal die Erlaubnis zur Einfahrt in einen Hafen zu bekommen. Doch dann hätte sie irgendwann mit einem Geisterschiff voller toter Flüchtlinge angelegt. Und das hätte wohl niemand in ihrer Situation mit seinem Gewissen vereinbaren können.

„Land schafft Verbindung“: Die Treckerdemos der Landwirte

Und jetzt mucken auch noch die Landwirte auf. Demonstrieren zu Tausenden in deutschen Großstädten gegen die neue Düngeverordnung und den Werteverfall ihrer Erzeugnisse und verstopfen in der Hauptverkehrszeit mit ihren Treckern die Straßen. „Ja, kann ich schon verstehen, ABER DOCH NICHT SO! Ich komme zu spät zur Arbeit!“

Ich sehe das so: In Sachen Aufmerksamkeit machen die Landwirte alles richtig. Sie hauen mächtig auf den Putz und sorgen für beeindruckende Bilder, wenn sie im Treckerkorso durchs Land ziehen und sich mit mehreren hundert Fahrzeugen vor die Rathäuser der Republik stellen. Jeder bekommt etwas davon mit. Bereits am Vortag werden Warnungen über zu erwartende Verkehrsbehinderungen verlesen. Und am Aktionstag selbst werden dutzende Mikros in die Autos von genervten Arbeitnehmern gehalten. Auch hier wieder: Aufmerksamkeit durch Schmerz. Wie bei den Schülern. „Land schafft Verbindung“ ist zwar nicht ganz so schmissig wie „Fridays for Future“, aber zumindest regt sich keiner darüber auf, dass die Demonstranten Schulstunden versäumen. Sind ja alle erwachsen. Obwohl: Wer kümmert sich eigentlich um die Kühe, wenn der Bauer auf Demo-Dienstreise ist?

Wie dem auch sei, auch bei Demos und Aktivisten gilt der Spruch „Any Press is good Press“. Oder anders: Solange sich jemand aufregt, hast du alles richtig gemacht.

(Bildquelle: Anders Hellberg/Wikipedia unter angegebener Lizenz, Ausschnitt verkleinert)

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