Wie spreche ich mit Kindern über meinen Krebs?

Mit Kindern und Jugendlichen über HPV-bedingten Krebs zu sprechen, ist eine Herausforderung. Einerseits ist es von höchster Wichtigkeit, die 9-14-Jährigen über sexuell übertragbare Krankheiten wie HPV aufzuklären, weil in diesem Zeitraum eine HPV-Impfung am sinnvollsten und effektivsten ist. Andererseits ist das Thema Sexualität in dieser Altersgruppe oft von Unwissen, Unsicherheit und Scham, aber auch von prahlerischen Albernheiten geprägt. Unter diesen Umständen eine sinnvolle Aufklärung zu gestalten, ist nicht leicht.

Ich habe in den vergangenen Jahren öfter vor Schülerinnen und Schülern der siebten, achten und neunten Klasse über meinen Peniskrebs und die Verbindung zu HPV gesprochen. Dabei habe ich immer versucht, das Thema mit einer gewissen Lockerheit zu vermitteln, um die jungen Menschen nicht zu überfordern und zu schockieren. Gleichzeitig möchte ich aber die nötige Ernsthaftigkeit nicht vermissen lassen, um klarzustellen, was sich nach einer Krebserkrankung alles ändern kann. Und dass sie im schlimmsten Fall tödlich endet.

Viele Fragen zu HPV und Peniskrebs

HPV-bedingter Krebs betrifft unter anderem die Geschlechtsorgane und damit auch das Thema Sexualität. Mittlerweile versuche ich, auf alle Fragen aus diesem Spektrum vorbereitet zu sein, die mir nach meinem Vortrag gestellt werden. Doch die eine oder andere Frage bringt mich dann doch wieder aus dem Konzept. Hier ein paar Beispiele, welche Fragen in Bezug auf HPV-bedingte Krebsarten gestellt werden und wie sie beantwortet werden können:

„Was ist Krebs überhaupt?“

Da redet man eine Stunde lang über Krebs und dann kommt solch eine Frage. Aber klar, das Thema ist komplex und es gibt unglaublich viele verschiedene Krebsarten. Erste Lerninhalte über das Thema Krebs sollten den Jugendlichen im besten Fall schon im Unterricht vermittelt worden sein, bevor wir mit HPV in die Tiefe gehen. Aber fangen wir gerne am Anfang an: Einfach gesagt entsteht Krebs durch eine Fehlinformation in der Körperzelle. Die Zelle bekommt nicht die Anweisung, zu einer Hautzelle, Leberzelle oder Hirnzelle mit vorgegebener Bauanleitung zu werden, sondern sie vermehrt sich unkontrolliert und bösartig. Dies kann nach und nach die Funktionen der Organe schädigen. Die Ursache dafür kann genetisch sein oder durch Umwelteinflüsse und Chemikalien hervorgerufen werden. Oder durch das HP-Virus. Krebs kann alle organischen und durchbluteten Körperteile und Weichteile befallen. Zahnkrebs beispielsweise gibt es nicht.

„Kann man durch die HPV-Impfung Krebs bekommen?“

Nein. Die HPV-Impfung wird mit einem sogenannten Todimpfstoff vorgenommen. Das heißt, dass bei der Impfung ein totes Fragment eines HP-Virus injiziert wird, mit dem das körpereigene Immunsystem mit allen Informationen über das Virus versorgt wird, um Antikörper entwickeln und sich dagegen wehren zu können. Krebs kann dieses tote Virusfragment nicht auslösen. Allerdings kann es wie bei allen Impfungen zu Impfreaktionen des Körpers kommen. Diese sind jedoch immer ein gutes Zeichen, denn sie zeigen, dass die Impfung erfolgreich war und das Immunsystem bereits reagiert.

„Was hatten Sie für Symptome?“

„Mein Onkel hatte Darmkrebs und nichts davon gemerkt. Was hatten Sie denn für Symptome?“ Auch hier muss man wieder etwas weiter ausholen. Krebs ist nicht gleich Krebs. „Den“ Krebs gibt es nicht. Darmkrebs ist anders als Peniskrebs. Ich habe schon früh Hautunregelmäßigkeiten und Wucherungen an der Penisspitze entdeckt und bin damit zum Arzt gegangen. Bei Darmkrebs sind die Symptome anders. Ebenso bei Hodenkrebs, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs und so weiter. Krebserkrankungen sind so vielschichtig wie unterschiedlich. Nichtsdestotrotz wünsche ich allen Angehörigen von Krebspatienten, vor allem den Kindern und Jugendlichen, alles Gute und viel Kraft und ich hoffe, dass sie unbeschadet und seelisch gesund aus dieser Erfahrung wieder herauskommen.

„Kann man sich mit Krebs am Penis noch einen runterholen?“

Wo kein Penis mehr ist, kann man sich auch keinen mehr runterholen. So einfach und schockierend ist die Wahrheit. Und auch ich musste mich nach der Diagnose mit genau diesen Fragen auseinandersetzen. Vorsorglich richtete ich mich auf ein Leben ohne Penis ein. Wie würde ich auf die Toilette gehen können? Wie verkrafte ich ein Leben ohne Sex? Könnte ich trotzdem noch ein Kind zeugen? Diese existenziellen Ängste und Sorgen gingen an die Substanz. Glücklicherweise war bei mir der Krebs nicht so weit fortgeschritten, als dass der ganze Penis hätte abgenommen werden müssen. Heute funktioniert untenrum alles größtenteils wieder so, wie es funktionieren sollte.

„Kann man mit Krebs am Arsch noch kacken?“

Die Antwort ist ähnlich. Im Anfangsstadium kann man mit einem Analkarzinom sicherlich noch normal auf die Toilette gehen. Doch irgendwann werden die Beschwerden größer und der Tumor muss wegoperiert werden. Möglicherweise erhält der Patient hinterher einen künstlichen Darmausgang und dann kann er oder sie nicht mehr so normal auf die Toilette gehen wie vorher. Auch bei der Ernährung wird es Umstellungen geben müssen. Und auch diese neuen Gegebenheiten können auf die Psyche schlagen. Im schlimmsten Fall führt ein Analkarzinom zum Tod. Da sind ordentliche Toilettengänge dann das geringste Problem.

Habt Respekt vor Menschen mit Krebs

Pimmelkrebs, Arschkrebs, kacken, runterholen – Schon klar, das klingt beim ersten mal vielleicht komisch und ganz weit weg. Kleine Witze oder provokante Sprüche liegen nahe. Das Ganze ist auch für mich bis heute maximal absurd und ich versuche das so locker wie möglich zu behandeln. Doch es ist ein Unterschied, ob ein Krebspatient seine Erkrankung mit Humor nimmt oder ein unbeteiligter Dritter mit einem respektlosen Witz oder einer provokanten Frage vor seinen Freunden abgeben möchte. Ich kann nur jedem raten, respektvoll mit Krebspatienten umzugehen. Nicht alle haben die Kraft und den Mut, hinterher über ihre Erfahrungen zu sprechen. Das ist nicht selbstverständlich. Während meines Vortrags blicke ich gerne ich lächelnde, verständnisvolle Gesichter. Ausgelacht werden möchte ich nicht. Ich erzähle von meinem Peniskrebs, weil ich möchte, dass andere Menschen diese Erfahrung nicht machen müssen. Krebs kann ganz schnell Ernst werden. Und ehe man es sich versieht, liegt man im Krankenhaus im Aufwachraum und tastet sich ab, um zu prüfen, ob man noch einen Penis hat.

Foto: Landkreis Celle

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