„Papa, warum stellst du dich nicht hin?“
Wir sind im Urlaub und ich gehe mit meiner kleinen Tochter auf die Toilette. Ich finde das immer ein bisschen heikel. Als Mann möchte ich aus Respekt nicht die Damentoilette betreten. Andererseits frage ich mich, ob meine kleine Tochter die Herrentoilette merkwürdig findet. Mittlerweile ist das kein Thema mehr, doch dass Männer anders Pipi machen als Frauen, hat sie schon mitbekommen.
Wir betreten die Toilette und gehen in einiger Entfernung an den Pissoirs vorbei zu den Kabinen. Meine Tochter entdeckt einen Jugendlichen und einen Mann, die an den Pinkelbecken ihr kleines Geschäft verrichten. Sie fragt, warum ich mich nicht hinstelle.
„Ich mache das nicht so gerne“, antworte ich. „Das geht bei mir nicht so gut.“
„Ok.“
Damit scheint die Frage für sie beantwortet. Wir verrichten unser Geschäft und verlassen die Toilette wieder. Für mich steckt natürlich mehr dahinter.
Ich pinkele nicht mehr so gerne im Stehen, weil das nach meiner Peniskrebserkrankung nicht mehr so gut geht. Nach den Operationen am Penis ist der Strahl nicht mehr so gut zu kontrollieren wie vorher. Manchmal hat er eher was von Sprühregen.
Das liegt vor allem an den Veränderungen rund um den Harnausgang an der Penisspitze. Ich habe zwar meine originale Harnröhre behalten, doch musste sie an die Ersatzeichel angenäht werden, die aus der Haut meines Oberschenkels besteht. Dass dabei etwas schiefgegangen ist, kann man nicht sagen, doch der Harnausgang hat nun eine andere Form als vorher. Und das ist der Grund dafür, dass der Harnstrahl nun einen leichten, aber unkontrollierbaren Rechtsdrall hat.
Kurz nach den Krebsoperationen sind mir regelmäßig Missgeschicke passiert, wenn ich im Stehen pinkeln wollte. Ich erinnere mich an einen Rastplatz auf dem Weg nach München. Alle Kabinen waren besetzt und so trat ich an das Pissoir. Von den neuen Umständen am Penis war ich völlig überfordert und so hatte ich hinterher einen ansehnlichen Urinfleck auf der Hose, den ich draußen erstmal in der Sonne trocknen musste.
Wenn ich weiß, dass ich ums Wasserlassen im Stehen möglicherweise nicht herumkomme, beispielsweise bei Konzerten, Festivals oder vergleichbaren Veranstaltungen im Freien, dann habe ich jetzt immer ein Päckchen Taschentücher dabei. Ich habe herausgefunden, dass sich die Auswirkungen des unkontrollierbaren Urinstrahls eindämmen lassen, indem ich mir währenddessen ein Taschentuch oder ähnliches unter den Penis klemme.
Im Stehen pinkeln scheint in der altmodischen Männerwelt immer noch einen großen Stellenwert zu haben. Aus diesem Grund steht im Aufklärungsbogen, den ich damals vor der OP unterschreiben musste, auch sinngemäß der Satz „Bitte beachten: Ohne Penis ist Wasserlassen im Stehen nicht mehr möglich.“
Einen Penis habe ich noch. Wasserlassen geht. Vieles andere auch. Im Stehen pinkeln ist total unwichtig.
(Bild: Ivan Dražić/Pexels)