Plötzlich wieder 19

Die ersten Minuten beim Klassentreffen sind komisch. Wie begrüße ich Menschen, die ich seit 25 Jahren nicht gesehen habe? Lächeln, förmlicher Handschlag, ok. Platz nehmen am großen Tisch. Unbequeme Stühle im ansonsten sehr guten Restaurant.

Die ersten Getränke und weitere ehemalige Mitschüler trudeln gleichzeitig ein. Weiteres Händeschütteln und Umarmungen. Bei manchen ist das letzte Wiedersehen noch nicht so lange her.

„Und? Was machst du jetzt so? Wohnst du noch hier? Wie viele Kinder hast du denn?“ Das sind die drängendsten Fragen. Wir wechseln hin und her. Ständig sitze ich auf einem anderen Stuhl und erzähle das gleiche. Wie beim Speeddating. „Wollen wir mal einen aufrücken? Zu dir muss ich auch noch!“

Das Essen kommt. Mein Teller ist kaputt. Irgendwas ist ja immer. Aber Ente und Reis sind gut.

Gut die Hälfte des Jahrgangs ist gekommen. Die andere Hälfte ist in Gedanken dabei. Wer hat noch Kontakt zu wem? Wer hat welchen alten Lehrer getroffen? Sind überhaupt noch alle am Leben?

Fotoalben werden herumgereicht. Und die alte Abizeitung. Das Nostalgielevel ist hoch. „Toll, dass das einer aufgehoben hat!“

Haben wir uns verändert? Natürlich. Und natürlich auch nicht. Beim Schwelgen in alten Erinnerungen ist es wieder so wie früher. Die alten Geschichten aus dem Physikunterricht und von der Klassenfahrt nach Italien sind wieder präsent. Gerade eben erst passiert. Für einen Abend bin ich wieder 19. Es riecht nach Kreidestaub aus dem Klassenzimmer und nach Fingerfarbe vom Abiumzug.

Manche von uns scheinen in einen Jungbrunnen gefallen zu sein. Andere haben heute mehr Haare am Kinn als auf dem Kopf. Aber die Stimmen, das Gelächter, die Sprüche. Alles wie früher.

Aus den Abiturienten von damals sind Ingenieure, Geschäftsführer, Wissenschaftler, IT-Experten, Staatsanwälte, Ärzte, Lehrer und vieles mehr geworden. Und Eltern. Viele Parallelen. Viel Stolz.

Die Rechnung kommt. Irgendwer hat mein Bier schon bezahlt. Vielen Dank!

Der Rest des Abends verschwimmt vor meinen Augen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Einer von uns will demnächst seine eigene Bar eröffnen und nimmt uns alle mit in die fast fertige Location mit der leistungsstarken Nebelmaschine neben dem Tresen.

Die weiteren Gespräche finden in trübem Dunst statt. Doch im Stehen fällt das Plaudern leichter. Die Musik beschert uns eine Zeitreise zurück zu unseren Abipartys.

Die Abschiede an diesem Abend sind schwer. Dafür umso herzlicher. Niemand, der nicht umarmt wird. Warum treffen wir uns in zwei Jahren nicht einfach hier wieder? Das wäre doch was, denke ich, während ich durch die Nacht nach Hause radele.

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