Mein erstes Praktikum beim Radio damals war cool. Ich bekam einen faszinierenden Einblick hinter die Kulissen des Radiomachens und ebnete mir damit den Weg für meine spätere Ausbildung dort. Drei Monate lang rannte ich mit dem Mikrofon in der Hand durch Fußgängerzonen, begleitete Höreraktionen im Möbelhaus, saß um fünf Uhr morgens für die Morningshow im Büro und mimte einen Hörer mit Musikwunsch, wenn einer gebraucht wurde.
In diesen drei Monaten zog ich zweimal um, bis ich die perfekte und preisgünstigste WG gefunden hatte. Denn: Ich war damals ziemlich blank. Etwas Geld bekam ich für dieses Praktikum, doch die 150 Euro im Monat konnte man höchstens als Aufwandsentschädigung bezeichnen. Ich versuchte mich einzuschränken, wo es ging, doch mein Konto war permanent im Minus. Da half nur eins: Ein Nebenjob musste her.
Nebenjob gegen Dauerpleite gesucht
In einer Lokalzeitung stieß ich auf eine interessante Stellenanzeige. Ich war damals naiv genug, um durch die fehlenden Infos über Arbeitgeber und Tätigkeitsbereich nicht misstrauisch zu werden und rief die angegebene Telefonnummer an. Am anderen Ende erklärte mir eine Dame, wann ich anfangen und wo ich hinkommen sollte.
„Das ist auf dem Gelände von Audi“, sagte sie.
„Ach, der Job ist bei Audi?“, fragte ich.
„Ja, ja“, antwortete sie. Dann war das Gespräch beendet.
Cool, ein Job bei Audi, dachte ich. So schlimm kann das ja nicht sein.
Kurz darauf spazierte ich beim Audi-Autohaus vorne durch den Haupteingang hinein, ging selbstbewusst zum Empfangstresen und sagte, dass ich hier jetzt ein Vorstellungsgespräch hätte. Die Mitarbeiterin fragte mich irritiert, mit wem ich denn dieses Vorstellungsgespräch vereinbart hätte. Ich nannte einen Namen.
„Ach, das ist hinten rum bei Magic Savings (Name geändert)“, sagte sie. „Da kommen Sie über den Hinterhof hin.“
Ich ging über den Hinterhof durch eine kleine Tür in einen anderen Teil des Gebäudes, in dem offenbar noch weitere Firmen ansässig waren. Im Obergeschoss wurde ich von der Dame am Telefon in Empfang genommen. Sie führte mich über einen schummrigen Flur vorbei an provisorisch eingerichteten Büroräumen.
Wenig später beim Gespräch mit dem Chef wurde mir klar, dass das hier gar nichts mit Audi zu tun hatte, sondern mit etwas ganz anderem. Ich sollte irgendwas im Internet anlegen. Profile erstellen, Daten eingeben, Fotos hochladen. Bevor ich weitere Details bekam, sollte ich ein Formular ausfüllen. „Das ist ganz wichtig“, sagte der Chef. „Sonst bekommst du hinterher kein Geld.“ Das klang doch irgendwie gut, fand ich.
Liebestolle Männer in die Telefonfalle locken
Ein Teamleiter erklärte mir anschließend, worum es bei diesem Job ging. Von ihm würde ich mit einer Reihe von Daten und Dokumenten versorgt werden, mit denen ich bei Dating- und Kontaktplattformen Profile anlegen sollte. Ich sollte mich in einer firmeneigenen Datenbank an Fotos und dazu ausgedachten Lebensdaten bedienen und diese dann bei gut einem dutzend Datingseiten hochladen. Immer vier bis sechs Fotos, ausgedachter Name, ausgedachte Hobbys, Vorlieben, Lieblingsbücher etc. Das war schnell erklärt. Und langsam dämmerte mir: Ich sollte hier Fake-Profile anlegen, um nichtsahnende Männer in eine Telefonfalle zu locken. War das überhaupt legal?
Fakt war: Ich brauchte Geld. Und zwar schnell. Ich war bereits ziemlich pleite und konnte mir keine weitere Verzögerung erlauben, um an Geld zu kommen. Ich schob meine Bedenken beiseite und nahm den Job an. War ja nur für sechs Wochen. Und so saß ich diverse Abende für zwei bis drei Stunden in diesen selbstgezimmerten Büroräumen an Arbeitsplätzen aus OSB-Platten und tackerte willkürlich angeblich liebesbereite Damen ins Internet.
Ein Büro weiter saßen mehrere Kolleginnen an ebenso rustikalen OSB-Schreibtischen. Sie hatten die Aufgabe, die Nachrichten zu beantworten, die die armen liebestollen Männer an die von mir hochgeladenen Fake-Profile schrieben. Die Masche war, den Männern dann eine Handynummer zu schicken, die diese anrufen sollten, um mit dem Fake-Single sprechen zu können. Über diesen Anruf wurden die Herren dann in eine Telefonabzocke hineingezogen, die sich später auf der Telefonrechnung niederschlug. Krasse Masche. Schon am zweiten oder dritten Tag legte der Teamleiter mir nahe: „Such dir am besten einen anderen Job.“ Anscheinend war ich ihm zu anständig.
Aber ich zog das jetzt durch. Ich brauchte Geld. Als Praktikant musste man sowas halt machen, dachte ich. Wie schlimm konnte das schon werden?
Ich schlug mir weiter die Abende um die Ohren. Im Sender hatte ich meistens gegen 17 Uhr Feierabend. Dann radelte ich ins Büro von Magic Savings und setzte mich für weitere zwei bis drei Stunden an den OSB-Schreibtisch. Mit anderen Menschen kam ich kaum in Kontakt. Meistens sah ich nur den Teamleiter, ab und zu mal einen anderen Fake-Profiler. Den Chef sah ich so gut wie nie.
Im Nebenjob ums Gehalt betrogen
Richtig unappetitlich wurde es, als das Geld nicht kam. Nach dem ersten Monat verzeichnete ich keine Überweisung auf meinem Konto und fragte nach. Ich wurde auf später vertröstet und arbeitete noch zwei Wochen weiter. Das Geld sollte auch danach nicht kommen. Und so wie mir ging es auch vielen anderen Angestellten der mysteriösen Firma. Viele hatten kein Geld bekommen und beschwerten sich. Wir schickten Aufforderungsschreiben mit Zahlungsfristen per Einschreiben an den Chef, die unbeantwortet blieben.
Eines Nachmittags, kurz vor dem Ende meines Praktikums, traf ich mich mit dem Teamleiter in einem Café. Er erzählte, dass der Chef behauptet hätte, nichts davon zu wissen, dass ich dort überhaupt gearbeitet hätte. Er erklärte mir, dass einige Kollegen sich jetzt zusammen einen Anwalt nehmen wollten, um das Geld einzuklagen. Dem schloss ich mich nicht an und weiß bis heute nicht, was aus der Sache geworden ist. Ich wurde um circa 350 Euro betrogen, die ich zur Finanzierung meines Praktikums dringend benötigt hätte. Stattdessen habe ich sechs Wochen lang viele Abende für nichts geopfert und musste mir wieder Geld von anderswo leihen.
Betrugsmasche Thema bei Spiegel TV
So weit, so schlecht. Doch es kommt noch krasser. Ein paar Monate später saß ich vor dem Fernseher und schaute mir, wie fast jeden Sonntag zu der Zeit, das Spiegel TV Magazin an. Eines der Themen an diesem Abend war Abzocke am Telefon. Berichtet wurde über eine Firma, die ahnungslose Menschen mit fragwürdigen Methoden in die Telefonfalle lockte. In üblichem Spiegel-TV-Look wurden ehemalige Angestellte hinter einer Schattenwand oder mit verfremdeten Gesichtern und Stimmen interviewt.
Irgendwie kam mir das bekannt vor. Hatte ich nicht ähnliches erlebt? Gehörte Magic Savings auch zu diesen dubiosen Firmen? Und tatsächlich: Am Ende des Beitrags lief eine lange Liste durchs Bild mit dutzenden Kleinfirmen, die alle auf die selbe Art versucht haben sollen, Menschen am Telefon abzuzocken. Und zwischendrin tauchte dann wirklich der Name „Magic Savings“ auf. Ich war geschockt! Wo war ich da nur hineingeraten? Jetzt war ich erleichtert, dass ich mit der Firma nichts mehr zu tun hatte. Wer weiß, wo das ganze dann noch hingeführt hätte.
Wie die Sache ausgegangen ist und ob es die Firma überhaupt noch gibt, weiß ich nicht. Mein Geld habe ich bis heute nicht gesehen.
Liebe Studierende: Augen auf beim Nebenjob! Geht, wenn möglich, mit einem guten Finanzpolster in eure Praktika. Oder haltet nach einem seriösen Arbeitgeber Ausschau.
Und liebe Arbeitgeber: Bezahlt eure Praktis bitte anständig, damit sie sich keine unanständigen Nebenjobs suchen müssen. Danke!
Krasse Geschichte. Danke fürs Teilen!
LikeGefällt 1 Person
Danke auch! Ja, das war schon ziemlich krass, als ich das im Fernsehen gesehen habe.
LikeLike