Der Mann mit dem Fahrrad am Ohr (3:00)

KRAPADAUTZ! So oder so ähnlich wäre die Szene, die ich vor kurzem beobachtete, wohl lautmalerisch in einem Comicstrip bezeichnet worden. Ein Geräusch, das diesem sehr nahe kam, verursachte nämlich ein Radfahrer, der wenige Meter vor mir in voller Fahrt mit dem Untergrund kollidierte. Mit anderen Worten: Er legte sich ganz gehörig auf die Klappe und schmeckte Asphalt.

Zu diesem Zeitpunkt verbrachte ich meine Mittagspause wie so oft im Hamburger Lohmühlenpark zwischen Steindamm und Langer Reihe. Die letzten Strahlen der Herbstsonne hatten Hundehalter, Mütter mit Kleinkindern und sogar ein paar Beachvolleyballer ins Freie gelockt. Auch ich wollte das milde Wetter für ein paar Minuten an der frischen Luft nutzen.

Auf der Suche nach einer unbesetzten Parkbank in der Sonne hörte ich das eben erwähnte Geräusch, sah Metall auf Schotter prallen und einen Mann am Boden liegen. KRAPADAUTZ eben. In einem Werner-Comic vielleicht auch KRADENGEL, beim 60er-Jahre-Batman auch gerne einfach nur ZACK oder BUMM.

Ich eilte dem Mann zu Hilfe und fragte, ob ihm etwas passiert sei.

„Boah Alter, ich habe mich gerade voll auf die Fresse gepackt!“, sagte er, während er sich mit der rechten Hand die Wange hielt.

„Ja, das habe ich gesehen“, sagte ich. „Das haben Sie auch ganz fein gemacht, aber ob es Ihnen gut geht, wollte ich wissen.“

„Nee, das schaff ich noch. Die Bücher habe ich dabei.“

„Soll ich nicht doch lieber einen Arzt rufen? Sie sind ja völlig durcheinander…“

In diesem Moment drehte der Mann seinen Kopf zu mir und schien mich erst jetzt wahrzunehmen. Ich erkannte, dass er sich mit der rechten Hand nicht die Wange, sondern ein Handy ans Ohr hielt. Er sah plötzlich verärgert aus, so als würde ihm klar werden, dass sein peinlicher Handyunfall nicht unbeobachtet geblieben war.

„Hau ab, Mann! Mir geht’s gut“, pflaumte er mich an. Und ins Telefon: „Sorry, nicht du. Hier hockt irgend so ein Spinner neben mir.“

Meine Hilfsbereitschaft verblasste.

Mit dem Handy immer noch am Ohr schwang sich der Mann wieder auf sein Fahrrad und fuhr davon. Dass er dafür eine Geschichte von mir bekommen sollte, hatte ich da bereits beschlossen.

Dann fiel mein Blick nochmal auf die Absturzstelle des Radlers. Neben den Unfallspuren lag ein Leinenbeutel mit Büchern in einer seichten Pfütze. Ein gebundenes Werk mit dem Titel „Grundlagen der Mechanik“, offensichtlich Eigentum der Staatsbibliothek, lag halb im Wasser und quoll zwischen Herbstlaub und Matsch langsam auf. Auf Aktion erfolgt Reaktion. Das hatte ich mir aus der Mechanik gemerkt. Oder besser: Karma strikes back.

Wenige Meter weiter setzte ich mich auf einer freien Parkbank in die Sonne. Ich beobachtete die Beachvolleyballer, die den goldenen Oktober ebenfalls genossen. Auf dem Spielplatz rutschten zwei Kinder die Rutsche hinunter, nachdem sie gleichzeitig aus vollem Hals „un, deux, trois“ und „bir, ici, üç“ gerufen hatten. Eine schöne Mittagspause war das.

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