Die Geschichte mit dem „Sprotz“ (4:30)

Schon beim ersten Druck auf die Taste des Kaffeespenders wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise sprudelte mir an dieser Stelle immer ein strammer, kräftiger Strahl entgegen, der im Nu die Tasse in meiner Hand füllte und mich kurz darauf mit wohliger Wärme und neuer Energie versorgte. Jetzt aber kam aus dem Hahn nicht mehr als ein zaghaftes Rinnsal, das in dem Gefäß lediglich eine spärliche Pfütze hinterließ. Mir wurde bewusst, dass ich die Taste mindestens noch einmal, vielleicht sogar zweimal drücken musste, um wenigstens mit einem halbvoll gefüllten Becher an meinen Arbeitsplatz zurückkehren zu können.

Ich stand in der kleinen Teeküche bei uns im Büro und wollte mir eigentlich nur kurz einen frischen Kaffee holen. Doch aus dem „kurz“ sollte wohl eher ein „länger“ werden, denn die kurz vor dem Versiegen stehende Kaffeequelle schien mir einen Strich durch die Rechnung zu machen. Es war eine dieser großen Zwei-Liter-Kannen, die auch gerne für Picknicks oder Familienfeste verwendet werden. Oben musste man nur auf den silbernen Taster drücken und schon ergoss sich ein satter Schwall frischen Kaffees in die Tasse. Normalerweise. Jetzt aber war offensichtlich nicht mal mehr eine Portion in dem Isoliergefäß vorhanden und ich fragte mich, wie lange ich das wohl ausreizen könnte. Wer den letzten Kaffee nimmt, muss schließlich einen neuen aufsetzen und darauf hatte ich, wie üblicherweise alle anderen Kollegen auch, keine Lust.

Ich drückte ein zweites Mal auf die Taste und wieder plätscherte ein Strahl mit abnehmender Kraft in meinen weißen Henkelbecher. Genug war es immer noch nicht, doch vom finalen „Sprotz“, dem eindeutigen Signal für eine sich leerende Kaffeekanne, war noch nichts zu hören. Sollte ich es tatsächlich wagen, ein drittes Mal zu drücken?

Vielleicht ging ja alles gut. Wie so oft. Vielleicht konnte ich mit dem dritten Schwall meine Tasse mit einer vorerst befriedigenden Menge Kaffee füllen, ohne danach gleich einen neuen aufsetzen zu müssen. Andererseits war es auch schon oft genug schief gegangen. Wie oft hatte ich hier schon optimistisch auf die Taste gedrückt und auf einen belebenden Quell dampfenden und duftenden Kaffees gehofft. Und wie oft musste ich dann jenes unheilvolle „Sprotz“ vernehmen, das mir lediglich die letzten Tropfen aus der Kanne gönnte. Wie oft musste ich anschließend den Deckel der Kanne öffnen, umständlich den Zapfhahn entfernen und das Innere des Isoliergefäßes mit heißem Wasser ausspülen. Bei dieser Verrenkung habe ich mir tatsächlich einmal einen Hexenschuss geholt, der die erste medizinische Massage meines Lebens zur Folge hatte.

Wie oft musste ich die Kanne nach dem Ausspülen unter die Maschine stellen und zwei Liter Wasser sowie eine abgepackte Portion Kaffeepulver in die entsprechenden Öffnungen geben. Wie oft bin ich nach dem Drücken des Startknopfes mit dem leeren Kaffeebecher in der Hand langsam wieder zurück an meinen Schreibtisch geschlichen und konnte kaum das Piepen abwarten, mit dem die Maschine signalisierte, dass der Kaffee fertig ist. Keinen Kaffee mehr zu haben, ist nicht so schlimm wie dann auch noch auf ihn warten zu müssen.

Ich atmete tief durch. Wenigstens einen kleinen Schluck wollte ich der Kanne jetzt noch abtrotzen. Sollte ich ein drittes Mal drücken? Ich zögerte. Blickte in meine Tasse. Und drückte schließlich. Ganz sanft und vorsichtig. Nicht voll durch. Ein kurzes „Schlurz“ ließ mich aufschrecken, doch von einem ausgewachsenen „Sprotz“ war das noch weit entfernt. Ich ließ die Taste los. Mein Herz raste. Ich war hellwach. Eigentlich brauchte ich nach diesem ganzen Nervenkitzel gar keinen Kaffee mehr.

Während ich erleichtert zur Seite trat und Milch und Zucker in meinen Kaffee rührte, so wie sich das gehört, betrat einer meiner Kollegen die Teeküche. Er nickte und grunzte mir zu, was wahrscheinlich „Hallo“ heißen sollte und machte sich daran, eine saubere Kaffeetasse aus dem Schrank zu nehmen. Ich rührte schnell meinen Kaffee um, nahm ihn in die Hand und ging an meinem Kollegen vorbei Richtung Küchentür. Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu schauen. Womöglich hätte er dann gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte. Als ich an ihm vorbei war, hielt er seine Tasse unter den Hahn und drückte die Taste. Als ich auf den Flur einbog, hörte ich gerade noch ein lautes „Sprotz“.

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