Mit Hosenscheißer auf Hauskauf (8:00)

Wer in einem Haus mit Garten aufgewachsen ist, der möchte später auch wieder in einem Haus mit Garten leben. Bei mir war das zumindest so. Sicherlich war es toll, mit 20 von zu Hause auszuziehen und dann die nächsten Jahre in kleinen WG-Zimmern und noch kleineren Studentenwohnheim-Zimmern zu hausen, in denen der Kühlschrank das wichtigste Möbelstück war und die Dekoration nur aus leeren Bierflaschen auf dem Fußboden bestand. Die erste eigene Wohnung war natürlich auch toll. Und die zweite auch, die ich mir gemeinsam mit meiner Freundin, später Ehefrau, ausgesucht hatte. Doch irgendwann ging es uns auf die Nerven, dass wir immer in den vierten Stock rennen mussten, weil es keinen Fahrstuhl gab. Partys hatten wir irgendwann gar nicht mehr gefeiert, weil wir keinen Bock mehr hatten, die Bierkisten dort hoch zu schleppen. Trotzdem beschwerte sich die Mieterin eine Etage tiefer ständig über Krach. Sei es durch den Staubsauger auf dem Parkett oder das Fenster, das durch einen Windzug scheppernd zugeknallt war.

Der Wunsch nach Garten, Garage und Partykeller wurde irgendwann so groß, dass ein Wohn-Upgrade auf ein Einfamilienhaus unausweichlich war. Und dann ging die Arbeit richtig los.

Monatelang studierten wir Immobilienanzeigen. Jeden Samstag radelte ich zum Bahnhof und kaufte dort Tageszeitungen, die ich noch nie zuvor in der Hand hatte. Jedes Mal nach dem Geld abheben trieben meine Frau und ich uns noch stundenlang im Vorraum der Sparkasse herum und begutachteten die Angebote im Immobilienschaukasten. Und im Internet scrollten wir uns regelmäßig ganze Wochenenden lang durch eine Maklerseite nach der anderen.

Das Ergebnis war zunächst überall gleich: Viele Häuser hätten wir uns leisten können. Die befanden sich allerdings am Arsch der Welt und waren zum letzten Mal renoviert worden, als es noch kein Privatfernsehen gab. Für die Häuser, in die wir sofort eingezogen wären, hätten wir hingegen einen Kredit aufnehmen müssen, den wir bis zu meinem 107. Geburtstag hätten abbezahlen müssen.

Die Suche nach einem passenden Haus war für uns am Anfang vor allem deprimierend. Doch irgendwann fanden wir ein paar Exemplare, die wir uns zumindest einmal anschauen wollten. Allein schon deswegen, weil wir uns gerne einfach mal etwas anschauen wollten.

Der erste Termin wurde schnell vereinbart und kurze Zeit später trafen wir uns mit dem Makler am Gartenzaun unseres potenziellen Traumhauses. Das Objekt unseres Interesses durfte getrost als Haus bezeichnet werden. Wände, Türen, Dach – alles war vorhanden. Meine Frau fand die Fensterläden nett, mir gefiel auf Anhieb der zugewachsene Garten. Klar, hier und da hätten wir ein paar Kleinigkeiten erneuern müssen, doch die Mängelliste, die lediglich aus der Heizung, allen beiden Bädern, allen Fußböden, allen Stromleitungen und Sicherungen, der kompletten Küche, den Fenstern, der Auffahrt, der Garage, dem Wintergarten, den Gehwegplatten im Garten, dem Schaukelgestell, dem Gartenhäuschen, der Dämmung unterm Dach, der Sauna im Keller, den Türklinken, der Klingel und dem Briefkasten bestand, kam locker auf nur einer DIN A 4 Seite unter. Und die ausgeschriebenen 350.000 Euro schienen für das Objekt echt angemessen. Die Lage an der vierspurigen Stadtautobahn war ja auch wirklich traumhaft.

Wir ließen die Eindrücke auf uns wirken und verabschiedeten uns nach einer halben Stunde wieder vom Makler. Auf dem Weg nach draußen kamen uns offenbar die nächsten Interessenten entgegen. Ein Pärchen, etwa im gleichen Alter wie wir, mit einer Baby-Trageschale in der Hand. Wir lächelten uns freundlich zu und machten uns wieder auf den Weg nach Hause.

Am Abend hatten wir uns dazu entschlossen, dem Makler eine positive Rückmeldung zu geben. Wir schrieben ihm, wie begeistert wir von dem Angebot gewesen seien und dass wir mit ihm gerne die nächsten Schritte besprechen möchten. Die Antwort kam am nächsten Tag. Leider wäre das Haus schon weg, den Zuschlag hätten die Interessenten nach uns bekommen. Der Notartermin sei schon vereinbart. Wenn sich trotzdem noch etwas ergeben sollte bla, bla, bla…

Die Anderen hatten da also einziehen dürfen. Die mit dem Kind. Der teuren Bruchbude trauerte ich natürlich nicht hinterher, keine Frage. Ich fragte mich jedoch, ob bei einer Hausbesichtigung ein Kind im Gepäck von Vorteil sein könnte. So nach dem Motto: „Wir haben es nötiger als ihr, ihr seht ja, der Nachwuchs ist schon da und bald wird unsere Zwei-Zimmer-Wohnung zu klein für den Mini-Scheißer und uns.“

Doch woher ein Kind nehmen? Zu dem Zeitpunkt unserer Haussuche hatten wir nämlich noch keine. Natürlich waren wir mit der Geschichte von den Bienchen und den Blümchen vertraut, doch zu diesem Zeitpunkt waren wir noch darum bemüht, dass diese Geschichte für uns nicht mit einem plärrenden Windelpupser endete. Und davon einmal abgesehen, hätte die Produktion etwas zu viel Zeit in Anspruch genommen. Wir wollten aber sofort ein Haus haben.

Also fragten wir die Schwester meiner Frau, ob ihr kleiner Sohn Niklas nicht Lust hätte, uns beim nächsten Besichtigungstermin zu begleiten. Einfach nur so.

Natürlich war das kein Problem. Die Schwester meiner Frau war froh, dass sie den kleinen Klugscheißer mal für einen Nachmittag aus der Hand geben konnte. Niklas war viereinhalb Jahre alt und gab sich keine Mühe, sein geballtes Wissen über Dinosaurier, Fußball und Sportwagen vor anderen Leuten geheim zu halten. Am liebsten spielte er mit Ferrari-Modellautos. Zu seinem vierten Geburtstag hatte seine Patentante es tatsächlich gewagt, ihm einen Porsche zu schenken. Entgeistert starrte er nach dem Auspacken des Geschenks auf das Modellauto. Dann drückte er es seinem kleinen Bruder in die Hand und sagte: „Hier. Mit der Rentnergurke kannst du spielen.“

Vorlaute Kinder sind ja auf den ersten Blick vielleicht ganz süß, dachten wir, deswegen rechneten wir uns ganz gute Chancen aus, beim nächsten Besichtigungstermin mit Niklas im Gepäck ein paar Pluspunkte sammeln zu können. Bevor wir aufbrachen, bläuten wir dem Kleinen jedoch ein: „Ganz wichtig! Heute sind wir nicht Tante und Onkel, heute sind wir Mama und Papa, klar?“ Wir versprachen ihm ein Eis für hinterher und waren uns sicher, dass das schon klappen würde.

Das Haus war toll. Das meiste war renoviert, die Lage war annehmbar und für den feuchten Keller würde uns sicherlich auch noch eine Lösung einfallen. Auch Niklas spielte mit. Er tapste uns brav hinterher, stellte keine blöden Fragen und sorgte dafür, dass wir als glückliche, kleine Familie rüberkamen. Ich hatte sogar ein paar Kindergartenbilder von ihm mitgenommen. Die hängte ich vor den Augen des Maklers schon mal zur Probe im möglichen Kinderzimmer auf und fragte Niklas, ob sie ihm gefielen. Er nickte schüchtern, lächelte mich an und legte eine hollywoodreife Umarmung hin. Mir stiegen die Tränen in die Augen und der Makler zerfloss vor Verzückung. Das Haus war zum Greifen nahe.

Im Esszimmer besprachen wir danach noch ein paar Details. Ob die Küche drin bleibt und wie das mit den tragenden Wänden ist. Und ob wir das richtig gesehen hatten, dass der Nachbar 250 Gänse in seinem Garten mästet. Wie gesagt, alles nicht so schlimm, da würden wir uns schon einig werden. Nach einer halben Stunde wurde Niklas langsam ungeduldig. Er zappelte auf seinem Stuhl herum und wir hatten immer größere Mühe, ihn zum Stillsitzen zu bewegen.

Irgendwann platze ihm der Kragen.

„Wie lange muss ich denn jetzt noch ‚Mama‘ zu dir sagen?“, schrie er meine Frau an. „Ich will zurück zu meinen richtigen Eltern!“

Hektisch verabschiedeten wir uns vom Makler. Meine zum Abschied gemurmelte Erklärung, dass der Junge in letzter Zeit immer wieder solche Scherze mache, schien er mir nicht wirklich abzukaufen.

Erst dachten wir, die Sache sei gelaufen. Dann jedoch bekamen wir den Zuschlag für das Haus. Offenbar waren nicht viele Interessenten davon begeistert, neben einer Gänsefarm zu wohnen.

Beim Kaufpreis wurden wir uns auch schnell einig. Hellhörig wurde ich, als der Makler uns erzählte, dass das Haus vorher einem Arzt gehört hatte. Also schrieb ich einen Brief an unsere Krankenkasse und fragte, wieviel sie von dem Kaufpreis übernehmen würde. Auf die Antwort warte ich bis heute.

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